Sie sind Pioniere im Bereich der erweiterten Fotografie. Die Bilder der Spanierin Cristina de Middel und des Brasilianers Bruno Morais sind eine Mischung aus dokumentarischer und fiktionaler Fotografie. In rund vierzig Fotografien inszenieren die beiden eine Reihe von Konsum- und Wohlstandsexzessen. Die Absurdität des Dargestellten ist dabei ihr primäres Stilmittel, um Fragen über den Stand der Dinge unserer Welt zu stellen.
Coalmine | Excessocenus
Ist das wahr? Ungläubigkeit ist oft die erste Reaktion auf die Fotografien von Cristina de Middel und Bruno Morais.
Dokumentarisch und Fiktional
Mit einer am Dokumentarischen orientierten Bildsprache verunsichert und amüsiert Cristina de Middel die Betrachter. Ihre Bilderzählungen sind reich an Einfallsreichtum und Gestaltungskraft, kreisen aber meist um eine ernste Thematik. Sie verknüpft darin das soziale Engagement einer humanistischen Concerned Photography mit dem Anspruch künstlerischer Autonomie. Innerhalb weniger Jahre ist Cristina de Middel so zur stilbildenden Vorreiterin einer erweiterten Fotografie geworden, die Intuition und geistreiche Fantasie nutzt, um die Funktion von Narrativen in Zeiten des Postfaktischen zu erkunden.
Das Zeitalter des Exzesses
Mit der Industrialisierung hat die Menschheit gemäss Wissenschaftlern ein neues Zeitalter eingeläutet: das Anthropozän. In dieser Epoche ist der Mensch zum wichtigsten Einflussfaktor auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse unseres Planeten geworden. Mit dem «Exzessozän», so konstatieren de Middel und Morais, folgen wir heute einer Ideologie, die für unser eigenes Überleben zur Bedrohung geworden ist. Trotz der katastrophalen Begleiterscheinungen dient das westliche Wohlstandsmodell vielen Ländern des globalen Südens als Blaupause. Afrika giert nach Wachstum und wurde zum wichtigen Absatzmarkt für Billigware und elektronische Produkte, die mit toxischen Stoffen belastet sind.
Fiktion als Stilmittel
De Middel und Morais interessieren sich für die Konsequenzen solcher makroökonomischen Prozesse im Alltag der Menschen Afrikas. Dazu gestalteten sie Bilder zu verschiedenen Ausbeutungsexzessen, in den Bereichen Rohstoffabbau, Energieverschwendung, Überfischung oder Massentourismus. Ihre Bildideen setzten sie mit Zufallsbekanntschaften in Mozambik um, im Bestreben, die Probleme von der globalen auf die lokale oder individuelle Ebene zu übersetzen. Mit den so entstandenen surrealen Inszenierungen gelingt den Künstlern zweierlei: prägnante Bilder für anthropogene Umwelteinflüsse zu schaffen, die durch ihre ikonische Kraft hoch ästhetisch und einprägsam sind. Und die unproduktive Polarität von Dokumentation und Inszenierung in Frage zu stellen, die das Nachdenken über Fotografie bestimmt. Das Vermittelnde, Indirekte und Gestaltende ist für sie kein Defizit des Dokumentarischen, sondern der Schlüssel zu Erzählungen, die die Menschen unmittelbar ansprechen. «Man muss erfinderisch sein, mit einem Sinn für Humor, um wirklich zu verstehen, was vor sich geht», so Cristina de Middel. «Dafür nutzen wir Fiktion, Fantasie, Ironie und Geschichte. Es gibt keine eindeutigen Wahrheiten, und so können auch wir nicht eindeutig sein.»
Die Ausstellung als eine Art Kampagne
Die Thematik des Exzesses wird in der Ausstellung konsequent fortgeführt. Anstelle von gerahmten Kunstdrucken kommen kommerzielle Bildträger und Werbematerialien zum Einsatz, wie sie Online-Druckereien weltweit anbieten. Bedruckte Tapeten, Poster, Flyer, Kalender, Mausmatten, Sticker und Stofftaschen addieren sich zu einer visuellen Kakophonie – zu einer aufdringlichen Werbemaschine, die ihr Glücksversprechen unaufhörlich wiederholt. Eine eigens aufgesetzte Website belästigt die Besucher mit Pop-up-Fenstern, hinter denen jeglicher Inhalt verschwindet. Die Ausstellung wird so zum Trojanischen Pferd: Sie besticht durch ihre Opulenz und ikonische Kraft, entwertet sich aber in der Summe sogleich wieder.