Mehr als 250 Fotograf:innen präsentieren zum 20-Jahr-Jubiläum der photoSCHWEIZ aktuelle Arbeiten. Posthum ist auch Mario Giacomelli, der «Picasso der Fotografie», vertreten. Seinen 100. Geburtstag feiert die photoSCHWEIZ 2025 mit der grössten je in der Schweiz gezeigten Retrospektive. Mit über 120 Exponaten bietet die Sonderausstellung «100 Jahre Mario Giacomelli» einen ebenso seltenen wie persönlichen Einblick in das emotionale Innenleben einer der grössten Meister der Fotografie.
20 Jahre photoSCHWEIZ
- Publiziert am 31. Januar 2025
Mario Giacomelli – Zeit, Erinnerung und Existenz
Mario Giacomelli (1925-2000) gilt weithin als einer der bedeutendsten italienischen Fotografen des zwanzigsten Jahrhunderts. Er wurde in ärmlichen Verhältnissen geboren und lebte sein ganzes Leben in Senigallia, einer Stadt an der Adriaküste in der italienischen Region Marken. Nachdem er im Alter von neun Jahren seinen Vater verloren und mit elf Jahren die Grundschule abgeschlossen hatte, absolvierte er eine Lehre als Schriftsetzer und Drucker und brachte sich nebenbei das Malen und Dichten bei. Mit dem Geld, das ihm ein Bewohner des Hospizes, in dem seine Mutter arbeitete, gab, eröffnete er eine Druckerei, die ihm ein Leben lang finanzielle Sicherheit gab. Kurz darauf begann er sich mit der Fotografie zu beschäftigen, vor allem an Sonntagen, wenn das Geschäft geschlossen war. Nach dem Kauf seiner ersten Kamera im Jahr 1953 erlangte Giacomelli schnell Anerkennung für die rohe Ausdruckskraft seiner Bilder, die viele der Anliegen des neorealistischen Films der Nachkriegszeit und der existenzialistischen Literatur widerspiegeln, mit ihrem Interesse an den Bedingungen des täglichen Lebens und an gewöhnlichen Menschen als denkenden, fühlenden Individuen. Seine Vorliebe für körnigen Film und kontrastreiches Papier führte zu kühnen, geometrischen Kompositionen mit tiefen Schwarztönen und leuchtendem Weiss. Durch die Verwendung von Titeln aus der Poesie verwandelte er vertraute Motive in Meditationen über die Themen Zeit, Erinnerung und Existenz.
Ein Jahrhundert Giacomelli
Mario Giacomelli, einer der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts, feiert dieses Jahr posthum seinen 100. Geburtstag. Die photoSCHWEIZ zeigt aus der Sammlung des Berners Claudio Righetti die Sonderausstellung «100 Jahre Mario Giacomelli». Die Auswahl sagt viel über den Sammler wie auch den Fotografen und lässt viel Raum für Interpretationen zu. Giacomelli meinte einst selber über seine Arbeiten: «Meine Fotos sollen nicht verstanden, sondern interpretiert werden.» Giacomellis Werke wurden weltweit in bedeutenden Museen und Ausstellungen gezeigt, darunter das Museum of Modern Art (MoMA) in New York, das Victoria and Albert Museum in London, das Getty Museum in Los Angeles und das Musée de l’Elysée in Lausanne – ein Zeugnis seiner internationalen Anerkennung und seines bleibenden Einflusses auf die Kunstwelt.
Melchior Imboden
Mit über 25’000 Besucher:innen ist die photoSCHWEIZ die grösste und wichtigste Werkschau für Fotografie in der Schweiz. Aus mehreren 100 Bewerbungen stellte das Kuratorenteam um Lead-Kuratorin Chris Burkhard eine Werkschau mit 250 Positionen zeitgenössischer Fotografie zusammen, darunter auch viele bekannte Stars wie Cortis Sonderegger, Maurice Haas, Nora Nussbaumer oder Sandro Bäbler. Besonders hervorzuheben sind die über 10 Sonderausstellungen, so etwa vom preisgekrönten Nidwaldner Designer und Fotografen Melchior Imboden. Der Schweizer Grafikdesigner und Fotograf präsentiert sein Langzeitprojet, das nationale und internationale Grössen der Fotografie wie Robert Frank, James Nachtwey und Peter Lindbergh zeigt.
Weibliche Körper
Eine weitere Sonderausstellung ist Iris Brosch gewidmet. Sie präsentiert mit ihrer Performance «Women For Peace – No Peace without Women» ein visuelles Manifest für Frieden, das von der antiken Mythologie inspiriert ist. Sie integriert dabei über 60 Frauen aus unterschiedlichsten Kulturen. Die Ausstellung «Male vs. Female Gaze in Body Cult» widmet sich dem Social Media Phänomen Cindy Landolt und ergründet mit Arbeiten von Oleg Kushnir und Amandine Kuhlmann den Gegensatz zwischen dem männlichen und weiblichen Blick auf einen sexualisierten weiblichen Körper.
Aussenseiter und Krisen
Auch die Ausstellung «Die Sicht der Anderen» ist ein bedeutender Bestandteil der Werkschau und gibt den Besucher:innen einen Einblick in das Leben der Jenischen in der Schweiz. Der bekannte jenischen Musiker Joseph Mülhauser – selber ein Kind der Landstrasse – hat dafür seinen Alltag und sein künstlerischen Leben dokumentiert. Und der sudanische Fotojournalist Faiz Abubakr hat für «Ärzte ohne Grenzen Schweiz» die die dramatische Lage in seiner Heimat seit dem Militärputsch 2021 dokumentiert.