Ihr ganzes Leben hat sich Alice Schmid mit den Themen Kinder, Gewalt und Missbrauch beschäftigt. Sie hat dazu Bücher geschrieben und Filme gedreht, ohne sich bewusst zu sein, dass sie selber in ihrer Jugend Opfer eines Missbrauchs war. Sie hat das Ereignis, als sie sechzehn war, nicht nur aus dem Bewusstsein verdrängt, sondern komplett vergessen. 50 Jahre später sieht sie zufällig in Oslo das Gemälde «Pubertät» von Edvard Munch mit einem nackten Mädchen, das sie schlagartig an alles erinnert.
Burning memories
Eine persönliche Spurensuche nach Bildern, Worten und Emotionen, um sich mit der eigenen Erfahrung von Missbrauch zu versöhnen.
arttv Rezension
Ein Bild Edvard Munchs – ein Mädchen neben einem bedrohlichen schwarzen Schatten – löste bei Alice Schmid die Erinnerung aus: an den sexuellen Übergriff, den die Regisseurin als 16-Jährige erlitt und der sich wie ein Schatten seither über ihr Leben legte. Das folgenschwere Ereignis war tief vergraben, ja «vergessen». Doch prägten Schlaflosigkeit und die Angst vor körperlicher und emotionaler Nähe ihre Existenz. Alice Schmids Engagement galt gleichzeitig und unbewusst ein Leben lang Kindern und ihrer Unversehrtheit. Im Schreiben wie im Film. So auch in ihrem bekanntesten, der bezaubernden Hommage «Kinder vom Napf». Nun sieht sich Alice Schmid schlagartig mit sich selbst konfrontiert – und sucht Heilung. Die Autorin, die seit ihrer Jugend eng mit Afrika verbunden ist, will so lange durch die Wüste Südafrikas gehen, bis sie Klarheit hat. Sie zählt ihre Schritte (Zählen war immer wieder ein lebensrettendes Ritual für Alice), während sie sich an ihre Kindheit erinnert: An die gewalttätige Mutter zuerst, das folgenschwere Ereignis später. Es geht um Selbstwert, um psychische und physische Integrität, den Umgang mit Erlebtem – und um die Abkopplung davon. «Burning Memories». Das Akkordeon, das die Autorin seit ihrer Kindheit spielt, verknüpft mit seinem Klang Gestern und Heute, während die Naturaufnahmen einen stimmigen, lichten Resonanzraum für die bewegende Lebensgeschichte bilden. Grossartig und tief berührend. Doris Senn
Burning memories | Die Synopsis
Alice Schmid ist nach dem Missbrauchserlebnis verstummt. Sie landete bei Mädchen aus dem Bürgerkrieg im Kongo in einem katholischen Mädcheninternat in Belgien. Bei ihnen hat sie ihre Sprache wiedergefunden und ihre Faszination für den schwarzen Kontinent entdeckt, wo sie mehrere Filme gedreht hat. Der Schock der Erinnerung nach dem Museumsbesuch in Oslo sitzt tief. Intuitiv reist sie in die Wüste Südafrikas. Sie geht den Fragen nach: Weshalb konnte ihr das geschehen und warum hat sie geschwiegen? Wie funktioniert diese Form des Vergessens bzw. der Verdrängung? Wie kommt es, dass sie in all ihren Filmen genau diesen Fragen zu den Themen Missbrauch und Gewalt nachging, ohne an ihr eigenes Erlebnis zu denken? Alice Schmid will Antworten auf diese Fragen, geht zurück in Ihre Vergangenheit und richtet den Blick auf das Phänomen des Schweigens und der Verdrängung, das viele Frauen und auch Männer trifft.
In ihrem neunen Film agiert die Regisseurin Alice Schmid zum ersten Mal vor und nicht hinter der Kamera. Dabei wird ihr klar, warum sie all die Jahre Filme über Kinder und Gewalt gemacht hat. Warum sie so geworden ist, wie sie ist, und warum sie keine Angst vor Gewalt hat, sondern sich vor Nähe und Liebe fürchtet.