In den 60er Jahren, als das Zürcher Niederdorf in den warmen Monaten in einen kulturellen Sommerschlaf zu fallen drohte, sorgte eine Schar Schauspieler für einen Theateranlass der Extraklasse: Ruedi Walter, Margrit Rainer, Jörg Schneider. Der Unterhaltungskünstler Christian J. Jenny verbindet in seiner Neuauflage Nostalgie mit aktuellen Themen. Das macht er brillant.
«Trittligass» | Millers Studio Zürich
- Publiziert am 26. August 2017
«I de Mitti vo de City» - bekannte Züri-Chansons der 60er neu aufgelegt. Wiederaufnahme wegen grosser Nachfrage.
Alte Chansons in neuem Kleid
Die illustre Truppe trat damals auf einem kleinen Pflastersteinplätzchen in der Stadt Zürich, ganz oben an der Trittligasse, mit ihrer «Zürcher Ballade» auf. Bis heute ist die Niederdorfhymne «I de Mitti vo de City» ein Begriff. Der Unterhaltungskünstler und Amtsvorsteher Christian Jott Jenny rief vom 30. August bis 16. September 2017 am selben Ort das Freilichtspiel «Trittligass» ins Leben und nahm den Faden von damals wieder auf. Neben ihm standen Walter Andreas Müller, Heidi Diggelmann, Barbara Baer, Samuel Zünd, Reto Hofstetter und Cabaret Rotstiftlegende Jürg Randegger auf der Bühne. Letzterer wirkte bereits im Original mit. Das neue Stück schrieb der in der Altstadt lebende und arbeitende Autor Jeremias Dubno. Wie schon im Sommer werden auch im Millers bekannte Züri-Chansons und Melodien erklingen, im neuen Kleid wohlgemerkt.
arttv BESPRECHUNG
Gentrifikation
«Trittligass», in der Neuauflage von Christian J. Jenny nimmt die Gentrifikation der Stadt Zürich pointiert auf die Schippe und glänzt auch sonst mit der Verknüpfung aktueller Geschehnisse der Limmatstadt mit den Liedern von damals. Erfrischend neu arrangiert und vorgetragen und musikalisch brillant begleitet vom Stadtorchester Zürich, kommt bei so manchen alteingesessenen Zürcher Wehmut auf. Kein Wunder summt während der Aufführung der eine oder ander die eingängigen Melodien beseelt mit.
Aktuelle Themen witzig angespielt
Aber auch Nicht-Zürcher fühlen sich von der Neuinszenierung der «Trittligass» angesprochen, sind doch Themen, wie die Verengung der bezahlbaren Wohnflächen, ständiger Erlass von immer neuen Vorschriften und Verboten für viele eine Belastung. Gleiches gilt für die Rationalisierung und Technologisierung von Arbeitsplätzen bis hin zu Algorythmen, welche uns vorgeben, wie wir künftig zu handeln haben. Samuel Zünd spielt eindrücklich einen Consulter, oder vielmehr ein «arrogantes deutsches Trampeltier», das den Tarif durchgibt, wie umzustrukturieren sei. Er erinnert wohl den einen oder anderen Zuschauer unfreiwillig an die Zustände in seinem Arbeitsplatzumfeld. Das passiert aber alles auf höchst unterhaltsame Weise.
Grossartiger WAM
Ein grosses Kompliment gilt auch der ganzen Schauspielertruppe, der man ihre grosse Erfahrung anmerkt und auch gesanglich besticht. Wiederum brillant Walter-Andreas Müller in seinen diversen Rollen. «Ist das Pfarrer Sieber oder WAM oder doch Pfarrer Sieber?», so hört man es raunen im vollbesetzen Miller`s. Und Jörg Randegger möchten wir lieber nicht glauben, dass er sich zur Ruhe setzen will, so frisch und spritzig wie eh und je ist er noch.
cs/2018