Getreu der hundertjährigen Tellspieltradition geht das theater(uri) mit der Humoreske «ZWING URI! – Tell my ass» von Matto Kämpf und einem fantastischen Ensemble im Kanton Uri auf Beizentour. Zehn verschiedene Gemeinden dürfen sich auf ein einzigartiges Erlebnis freuen.
theater(uri) | ZWING URI! – Tell my ass
Ausgangslage
Im Frühjahr und Sommer 2016 wird im Tellspielhaus in Altdorf, im heutigen theater(uri), Schillers Festspiel der Freiheit «Wilhelm Tell» wiederholt neu inszeniert. Während dieser Zeit geht das theater(uri) üblicherweise mit einer Eigenproduktion ins Exil, welche inhaltlich Bezug zur über hundertjährigen Tellspieltradition in Altdorf nimmt. Auf einer Tournée durch den Kanton Uri wird im Mai 2016 in verschiedenen Beizen die Geschichte einer Familie erzählt, die vor dem Hintergrund einer auf «Festspiele der Freiheit» hinfiebernden Gemeinde in ihrem Restaurationsbetrieb um angestammte Rollen und neue Freiheiten fürchtet und dabei einträchtig dem Sog mannigfacher Sehnsüchte nicht zu entrinnen vermag.
Inhalt
Tom wirtet in siebenundvierzigster Generation im Gasthaus Tell. Jerry kommt aus einem fernen Land und arbeitet im Service. Die beiden jagen sich pausenlos durch die Gaststube und können nicht von einander lassen. Jerry beflügelt Toms Phantasie nach einem anderen Leben in einer neuen Welt. Doch im Moment setzt ihm die alte Welt ziemlich zu: Im Sääli wird Wilhelm Tell geprobt, Tom muss die Theatergruppe bedienen und zugleich Regie führen, seine toten Eltern fordern ihren Tribut über das Grab hinaus, Jerry verlangt vom chronisch erschöpften Tom Zuneigung und scharfes Denkvermögen, der Gemeindepräsident macht seine Aufwartung, und das ständig plärrende Radio macht die Sache auch nicht besser. Zudem soll im Hof auch noch unentwegt an der Zukunft geschweisst werden.
Historischer und gesellschaftlicher Hintergrund
«ZWING URI! – Tell my ass!» ist eine Humoreske auf Beizentour, die sich sich einem gesellschaftlichen und historischen Hintergrund bedient, zeitlos, überhöht, hintergründig und ohne Geschichtslektion sein zu wollen. “Als sich 1891 die Schweiz daran machte, ihrer Gründung vor sechshundert Jahren mit patriotischen Feiern, vaterländischen Reden und einem eindrücklichen Festspiel in Schwyz zu gedenken, wollte in Uri die Festfreude nicht so richtig aufkommen. Dabei sah sich doch Uri seit jeher als die Wiege der Eidgenossenschaft, ja als den eigentlichen Schöpfer und Erfinder der Unabhängigkeit und politischen Freiheit. Schliesslich hatte hier alles mit dem folgenschweren Apfelschuss des Schächentalers Wilhelm Tell begonnen, und der erste Bund der Eidgenossen wurde sicher nicht von ungefähr auf Urner Boden, dem Rütli, geschworen. Bestimmt, so war man in Uri überzeugt, gäbe es die Schweiz ohne Uri gar nicht, und überhaupt: im Grunde genommen müsste die Schweiz sowieso Uria, Urien oder so ähnlich heissen.” Ja, in Uri ist man vor den Kopf gestossen: Die Feierlichkeiten für den ersten Bundesfeiertag werden schwerpunktmässig in den Kanton Schwyz vergeben, weil man dort 1758 den ersten geschriebenen Bundesbrief aus dem Jahre 1291 gefunden hat und somit der erste Bundesschluss auf Schwyzer Boden vollzogen wurde. Uris Selbstverständnis, im Befreiungskampf vor 600 Jahren die führende Rolle innegehabt zu haben, wird ernsthaft in Frage gestellt. Mit diesem für Uri neuen und schwer hinnehmbaren Rollenwechsel beginnt Stefan Frybergs “Bretter, die die Schweiz bedeuten”. In dem gut 100 Seiten starken Werk berichtet er faktenreich und mit viel Witz über die Hintergründe, die Ende des 19. Jahrhunderts in Altdorf zur Tellspieltradition führten, welche bis heute andauert. Liberale und konservative Kräften liegen sich mächtig in den Haaren. Es tobte ein wüster Pressekrieg. Für die Durchführung des für Altdorfer Verhältnisse grossen Ereignisses kommt man jedoch nicht umhin, sich über die politische Gesinnung hinweg die Hand zur reichen und zusammen zu arbeiten. Man ist sich der nationalen Strahlkraft der Altdorfer Festspiele bewusst. Und so raufen sich die politischen Kontrahenten immer wieder von Neuem zusammen, sich auf dem Rütli und in den ihnen
zugeteilten Rollen in eigentlicher Zwietracht ewige Eintracht zu schwören.
Übergeordnetes Thema: Sehnsucht
«ZWING URI! – Tell my ass!» thematisiert die Sehnsucht von Subjekten – Gemeinschaften oder Individuen – sich ihrer Rolle in einem System bewusst zu werden, an ihr festzuhalten oder diese neu zu finden, sich zu befreien, um Teil eines Ganzen zu bleiben und vom Aussen dafür Wertschätzung und Anerkennung zu erfahren. Ganz im Sinne des Kreises von: …Enge, Sehnsucht, Aufbruch, Ausbruch, Enge Sehnsucht…Sich auf dem Weg zu seiner ganz persönlichen Freiheit zu verrennen, ist Teil des Spiels, schafft Leiden für die Einzelnen und viel Situationskomik für die Zuschauenden im Aussen. Denn: Schränkt mein Recht auf Freiheit nicht dein Recht auf Freiheit ein?
Eine der grössten menschlichen Sehnsüchte gehört wohl dem Drängen nach Eins-sein. Dem Eins-sein mit sich und seinem Umfeld. Dem Dazugehören. Um Teil eines Systems zu sein, vollziehen Menschen in ihren Biographien Trennungen. Trennen macht frei, um sich in einem neuen oder im bereits angestammten Feld frisch einzurichten. Sehnsüchte sind Beweggründe von Subjekten – Individuen oder Gesellschaften – sich oder sein Umfeld zu verändern. Ein stetiger Prozess von einnisten-ausmisten-verlassen-einnisten-… oder das Erfahren des Kreises von: Enge, Sehnsucht, Aufbruch, Ausbruch, Enge Sehnsucht, Aufbruch, Ausbruch, Enge, Sehnsucht … Oder wie Matto Kämpf sagt: «Auf dem Land versucht man immer irgendwie aus dem Dreck heraus zu kommen – in der Stadt auch!»