Das Theater St.Gallen startete mit zwei Kurzkomödien der deutschen Dramatikerin Theresia Walser in die Saison. Der satirische Doppelabend «Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm» und «Nach der Ruhe vor dem Sturm» leuchtet ins Innere der Theaterwelt. Es wird über die Darstellbarkeit von Hitler gestritten und darüber, ob Theaterstücke nicht immer nur aus der «Pimmelperspektive» geschrieben wurden. In der Lokremise St.Gallen findet das humorvoll-bissige Doppelstück seine Schweizer Erstaufführung.
Theater St.Gallen | Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm & Nach der Ruhe vor dem Sturm
- Publiziert am 19. September 2022
Über die zwei Komödien
In «Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm» sind drei Schauspieler zu einer Talkshow eingeladen, um über die Darstellbarkeit Hitlers zu diskutieren. Der jüngste der Kollegen hat aber im Gegensatz zu den beiden Theaterurgesteinen «nur» den Goebbels gespielt. Ein Jahrmarkt der Eitelkeiten entbrennt, es wird Gift und Galle gespuckt. Bevor sich die Herren versehen, stecken sie mitten in einem erbitterten Disput über den Auftrag des zeitgenössischen Theaters, über altertümlichen «Naturalismusschwindel» oder die Marotten des modernen Regietheaters. Zu spät bemerken sie, dass sie ihr Pulver schon vor dem Beginn der Sendung verschossen haben. Im zweiten Kurzdrama «Nach der Ruhe vor dem Sturm», das im gleichen Setting angelegt ist wie der erste Teil, treffen Irm König, die abgespielte Chefhostess des «Glücksschiffs», und Bühnenstar Liz Hansen aufeinander. Die beiden Giftspritzen schenken sich nichts, wenn sie über die Unterschiede zwischen Fernseh- und Theaterarbeit diskutieren oder darüber, ob Kunst und Unterhaltung einander ausschliessen. Und gibt es überhaupt noch gute Rollen für ältere Frauen, wo doch der Grossteil der Dramenliteratur aus der «Pimmelperspektive» geschrieben ist? Theresia Walsers Doppelabend thematisiert auf humorvoll-bissige Art die Kunst des Spiels, die von den Schauspieler:innen einen andauernden Spagat zwischen Wirklichkeit und Illusion verlangt. Die entfesselten Egos zeigen immer wieder, dass sie auch privat das Schauspielern nicht lassen können. Wissen sie überhaupt noch, in welcher Realität sie sich gerade
befinden?
Stimmen
«Da wäre der abgehalfterte Franz Prächtel, der irgendwie dem Regietheater nachhängt, wobei er Regisseure aus Prinzip verachtet. Sein Hitler muss mit der überheblichen Abwertung vom verbissen-neurotischen Peter Söst – ebenso schizophren wie köstlich von Marcus Schäfer gespielt – klarkommen, der immer wieder deklamiert, den Hitler nicht als Menschen dargestellt zu haben. “Die Vermenschlichung von Hitler ist mir zuwider!” Zwischen den beiden steht der junge, Ulli Lerch, der bald gesteht, dass es bei ihm zum Hitler-Darsteller nicht gereicht hat, sondern nur zum Goebbels. Das empört den Prächtel, der prächtig blasiert von einem glänzend präzise aufspielenden Bruno Riedl verkörpert wird und sich in seiner Divenhaftigkeit gern von den anderen hätte bedienen lassen. Selbst bei der Forderung nach einem schlichten “Hahnenwasser” neigt er zum Deklamieren und tut sich schwer damit, dass jüngere Generationen den Hamlet ans Englische angelehnt lieber “Hämlet” aussprechen. Zu der Sorte gehört Lerch – hübsch multi-grimassierend dargestellt von Julius Schröder. […] Der zweite Teil des Abends zeigt wiederum Schauspielerpersönlichkeiten, diesmal zwei Frauen älteren Semesters. Mit dem Blick auf unterschiedliche Karrieren. Die eine, Irm König – mit hinreissender Arroganz von Birgit Bücker starrsinnig ausgemalt, auf 36 Jahre “Glücksschiff” im Fernsehen zurückblickend. Die andere, nicht weniger ernüchtert, Liz Hansen als Theaterschauspielerin, die das Auftreten im seichten Fernsehen als Sakrileg am Beruf empfindet. Entsprechend bissig sind die Dialoge. Zwei Frauen, die sich mehr ankläffen als unterhalten. Bis sie sich doch noch auf einen gemeinsamen Nenner einigen können – nämlich die Pimmel-Perspektive, als das sie ein Theater der Männer geisseln. Und eine wunderbar zänkisch-zickende Diana Dengler sagen lässt: “Hinter uns liegen Jahrtausende wunderbarer Pimmel-Dramatik, keine Frage. Aber irgendwann, verstehen Sie, irgendwann ist es zu viel!» – Nachtkritik | «Brillant gespielte Unterhaltung.» – Saiten | «Am Mittwoch feierten in der Lokremise St.Gallen die beiden Kurzdramen «Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm» und «Nach der Ruhe vor dem Sturm» von Theresia Walser Premiere. Das Werk behandelt auf komische Weise ernste Probleme über Generationen hinweg.» – St.Galler Tagblatt
Text: Theater St.Gallen