Puccinis reifste Partitur mit einer hinreissenden Protagonisten:
Svetlana Ignatovich. Musiktheater, das unter die Haut geht!
Theater Basel | Madame Butterfly
Kritik:
Gut möglich, dass einige Besucherinnen und Besucher der gestrigen Premiere von MADAMA BUTTERFLY in ein paar Jahren werden sagen können: ICH WAR DABEI, ALS EIN NEUER STERN AM OPERNHIMMEL AUFGING! Denn für die Beschreibung der Leistung der jungen SVETLANA IGNATOVICH fehlen einem beinahe die Superlative. Rein und zart schwebt ihre makellose Stimme über den hohen Sopranen bei ihrem ersten Auftritt, mit Humor und mädchenhafter Verliebtheit wirft sie sich dem (gut aussehenden) Yuppie Pinkerton in die Arme, leidenschaftlich und selbstbewusst agiert sie im langen Liebesduett; zwischen bangem Hoffen, Selbsttäuschung und Verzweiflung schwankt sie im zweiten Akt, und wenn sie dann im dritten Akt mit fahler Stimme zu Con onor muore ansetzt, ist das von einer nicht mehr zu überbietenden Kraft und Intensität. Den Jubel des Publikums hat sie sich mit dieser phänomenalen Leistung mehr als verdient.
Es gehört zu den Stärken dieser Produktion, dass neben Frau Ignatovich ein junges, ebenso überzeugendes Ensemble auf der Bühne steht. Maxim Aksenov gibt den Unsympathen Pinkerton mit yuppiehafter Überheblichkeit, ein Jungspund, der schnell zu Geld gekommen ist, glaubt die ganze Welt gehöre ihm und nicht merkt, dass er in zu grossen Schuhen steckt. (Ist es Zufall, dass er äusserlich an den jungen Brad Pitt erinnert?) Mit glatter, sehr gut fokussierter Stimme singt er unbeschwert den ersten Akt und findet in Addio fiorito asil zu berührender Empfindsamkeit. Auch Sharpless ist in dieser Inszenierung ein smarter Typ. Eung Kwang Lee verleiht dieser zwiespältigen Figur mit charaktervoller Baritonstimme und grossem darstellerischem Können Gewicht. Valentina Kutzarova kann u.a. im Blumenduett ihre Qualitäten offenbaren. Einmal mehr bedauert man, dass Puccini diese Partie relativ klein gehalten hat. Andrew Murphy hat einen starken Auftritt als Onkel Bonze (hier eher ein japanischer Godfather, mit Bodyguards), der profitgierige Heiratsvermittler Goro gewinnt durch Karl-Heinz Brandts Darstellung ein überzeugendes Profil.
Enrico Delamboye und das wunderbar aufspielende Sinfonieorchester Basel zeigen eine der reifsten Partituren Puccinis (gespielt wird die gängige Fassung von 1907) in all ihren herrlichen Farben, vom gehetzt präzisen, fugierten Beginn bis zum rhythmisch vertrackten grossen Intermezzo zu Beginn des dritten Aktes.
Wie die BOHÈME in Bern ist auch die BUTTERFLY in Basel mit grosser Sensiblität von einer Frau inszeniert. Jetske Mijinssen (Regie), der Bühnenbildner Paul Zoller und Arien de Vries (Kostüme) zeigen MADAMA BUTTERFLY als heutiges Stück, denn die Themen dieser Tragödie sind nicht an eine bestimmte Zeit gebunden. Imperialistisches Gehabe, männliche Sorglosigkeit und Arroganz sind zeitlos. Butterfly und ihr Kind müssen in einem nie fertigen Häuschen aus unverputzten Gipsplatten wohnen, als sich dann die gesamte Bühne während des (wunderschön intonierten) Summchores öffnet, sieht man, dass da kein Himmel ist, kein Platz für Hoffnung, sondern nur eine weitere Wand aus grauen Gipsplatten. In dieser Trostlosigkeit fixiert Cio-Cio San ihre ganze Liebe auf das gemeinsame Kind, überhäuft es mit Spielsachen. Doch als ihr die naive Kate (und die Vormundschaftsbehörden) auch noch das Kind wegnehmen, sieht sie keinen anderen Ausweg mehr, als sich selbst zu töten.
MADAMA BUTTERFLY wird in dieser Saison auch noch in Zürich (Oktober) und in St.Gallen (Mai) Premiere haben. Man darf gespannt sein.
Fazit:
Eine Cio-Cio San der Superlative und ein exzellentes Ensemble lassen diese BUTTERFLY zu einem unvergesslichen Erlebnis werden.
Werk:
Das Fiasko der Uraufführung von MADAMA BUTTERFLY lag vermutlich in den Rivalitäten der beiden mächtigen Verlagshäuser Italiens (Ricordi und Sonzogno) begründet. Puccini zog die Oper sofort zurück und präsentierte kurz darauf in Brescia ein neue, diesmal äusserst erfolgreiche Fassung. BUTTERFLY gehört zu den meistgespielten Opern der Welt, in den USA ist sie seit Jahrzehnten die Nummer eins. Sie ist die stilistisch geschlossenste Oper des Meisters. Der melodische Einfallsreichtum, die gewagte, auch an die Grenzen der Tonalität stossende, von Melodien japanischer Herkunft inspirierte Harmonik machen aus MADAMA BUTTERFLY weit mehr als das kitschig sentimentale Drama, als welches es oft herablassend bezeichnet wird.
Die Oper hat auch in der Pop Musik (Un bel dì gibt es in unzähligen Versionen), im Film (z.B. FATAL ATTRACTION mit Glenn Close und Michael Douglas) und im Musical (MISS SAIGON) ihre Spuren hinterlassen.
Inhalt:
Der leichtlebige amerikanische Marineoffizier Pinkerton heiratet in Nagasaki die 13jährige Cio-Cio San, genannt Butterfly. Die Warnungen des amerikanischen Konsuls Sharpless schlägt er in den Wind. Die Heiratszeremonie wird durch den Onkel Cio-Cio Sans gestört, welcher das junge Mädchen verflucht, weil sie heimlich zum Christentum konvertierte.
Der Akt schliesst mit einem der längsten und schönsten Liebesduette der Opernliteratur.
Drei Jahre später:
Butterfly hat einen Sohn von Pinkerton. Der selbst hat sich aber nie mehr in Japan blicken lassen, doch Butterfly gibt die Hoffnung nicht auf, dass er sie nach Amerika holen wird. Suzuki zweifelt. Sharpless will Butterfly darauf vorbereiten, dass Pinkeron zwar auf dem Weg nach Japan sei, doch nicht ihretwegen. Ihren Verehrer Yamadori weist Butterfly standhaft ab.
Ein Kanonenschuss verkündet die Ankunft des amerikanischen Kriegsschiffes.
Butterfly hat die ganze Nacht lang vergeblich auf Pinkerton gewartet. Sie zieht sich zurück. Pinkerton erscheint im Garten mit seiner neuen Frau Kate um seinen Sohn nach Amerika zu holen. Butterfly ersticht sich mit dem Dolch, mit dem auch ihr Vater einst Selbstmord begangen hatte.
Musikalische Höhepunkte:
Dovunque al mondo, Pinkerton – Sharpless, man hört die amerikanische Nationalhymne
Ancora un passo, Auftritt von Cio-Cio San und ihren Freundinnen, Akt I
Bimba, Bimba, non piangere, Duett Cio-Cio San – Pinkterton, Akt I
Un bel dì, Arie der Cio-Cio San, Akt II
Tutti i fior? Duett Cio-Cio San – Suzuki, Akt II
Coro a bocca chiusa , Summchor, Zwischenspiel zu Akt III
Addio, fiorito asil, Arioso des Pinkterton, Akt III
Con onor muore, Finale Akt III
Für oper-aktuell und art-tv: © Kaspar Sannemann, 11. September 2009