Basel zeigt einmal mehr grossartiges Musiktheater, hochkomplex und doch begeisternd und ergreifend.
Theater Basel | Dialogues des Carmélites
- Publiziert am 28. März 2009
Kritik:
Das Theater Basel macht es seinem Musiktheater Publikum wahrlich nicht leicht – und vermag es doch immer wieder zu fesseln: Nach dem überragenden HOLLÄNDER und der packenden LULU folgt nun eine hochkomplexe, aber nichtsdestotrotz tief berührende Inszenierung von Poulencs DIALOGUES DES CARMÉLITES.
Regisseur Benedikt von Peter und sein Team erzählen die tragische Geschichte ganz aus der Sicht der Überlebenden Mère Marie. Diese spürt ihrer Schuld am Märtyrertod ihrer Schwestern nach und versucht das grausige Geschehen zu verarbeiten, indem sie die Geschichte rekonstruiert, mit Hilfe von Bühnenbildmodellen und Figuren in einer mit allerlei Technik vollgestopften Zelle nacherzählt. Ausgangspunkt ist die Schlussszene der Guillotinierung, welche hier in Basel zu Beginn der Aufführung erklingt. Die Nonnen ziehen zum SALVE REGINA an Maries Fotokopierer vorbei, zum Sausen des Fallbeils legen sie ihren Kopf auf die Glasplatte und hängen das entstandene Konterfei in Maries Zimmer auf. Erst nun beginnt die eigentliche Oper, erzählt aus den Erinnerungsfetzen der Mère Marie, wobei diese Erinnerungen immer stärker werden und ihr schliesslich vollständig entgleiten, als eine Hollywood Produktionsfirma sich der Story bemächtigt und daraus die Kitschversion LES DIALOGUES DES CARMÉLITES – THE TRUE STORY dreht. Trotz dieses Erzählens auf mehreren Ebenen folgt man der Handlung tief bewegt.
Blanche ergreift in der Erinnerung immer stärker Besitz von Mère Marie, sie drängt sich auch physisch in ihr Zimmer, spielt mit den Requisiten – und auch eine gewisse erotische Anziehungskraft zwischen den beiden ist auszumachen. Das sind ganz starke Momente der Inszenierung, genauso wie die Szene zwischen der sterbenden Priorin Madame de Croissy und Mère Marie.
Hanna Schwarz, die soeben in Berlin als Klytämnestra und Herodias Triumphe feiern konnte, ist diese Mère Marie: Über drei Stunden agiert die Künstlerin mit einer unglaublich packenden darstellerischen und stimmlichen Intensität auf ihrem kleinen Podest, verarbeitet ihre Schuldgefühle und übernimmt in der Erinnerung sogar gesangliche Phrasen, die eigentlich gemäss Partitur anderen vorbehalten sind. Eine atemberaubende, unter die Haut gehende Leistung.
Mit klarem, leuchtendem Sopran und grosser Darstellungskraft überzeugt auch Svetlana Ignatovich als Blanche, sowohl als die Blanche aus der Erinnerung Maries als auch als Diva der Hollywood Produktion im dritten Akt, wo man sie in Grossaufnahme auf den hastig herbeigeschobenen Leinwänden sehen kann. Alle weiteren Rollen sind ebenso hervorragend besetzt: Rita Ahonen als alte Priorin, Agata Wilewska als Schwester Constance, Sophie Angebault als Madame Lidoine, die neue Priorin, und Rolf Romei als Blanches Bruder verdienen besondere Erwähnung.
Das Sinfonieorchester Basel vollbringt eine überragende Leistung. Es ist auf dem riesigen, dreigeschossigen Metallgrüst positioniert, welches die Schlosserei in aufwändiger Arbeit auf die grosse Bühne gestellt hat. Die Bläser oben links und rechts, die Streicher in der Mitte und die Perkussion unten. Cornelius Meister sitzt weit entfernt von seinem Orchester auf einem Hocker einsam an der Rampe und vermag trotzdem, die Fäden stets beieinander zu halten, die ruhig fliessende Musik mit Spannung und Emphase zu füllen. Man kann sich vorstellen, welch gigantischer technischer Aufwand notwendig war, um allen Musikern den direkten oder indirekten (via Bildschirme) Blick auf den Dirigenten zu ermöglichen Das Resultat spricht für sich: Poulencs herrliche Musik erklingt unter seiner Leitung ganz wunderbar und rundet den eindrücklichen Abend zu einem berührenden Erlebnis.
Fazit:
Das ist Musiktheater wie man es sich wünscht – ergreifend, intelligent und musikalisch hochkarätig!
Inhalt:
Aus Lebensfurcht beschliesst die junge Adlige Blanche de la Force (!) im Jahre 1789 in den strengen Orden der Karmelitinnen einzutreten. Als Schwester Blanche von der Agonie Christi findet sie dort Aufnahme, ist tief erschüttert vom Sterben der alten Priorin, wird unter die strengen Fittiche von Mère Marie de l’Incarnation genommen und freundet sich mit der jungen Schwester Constance an. Nach der Auflösung des Klosters durch das Revolutionstribunal kehrt sie als Magd in das Haus ihres inzwischen hingerichteten Vaters zurück. Sie erfährt von der Verurteilung ihrer Schwestern wegen Hochverrats und fühlt sich dem abgegebenen Gelöbnis des Martyriums verpflichtet, welches Mère Marie durchgesetzt hatte. Blanche folgt den zum Tod durch die Guillotine Verurteilten freiwillig aufs Schafott. Einzig die Initiatorin des Opfergangs, Mère Marie, überlebt die Wirren der Revolution.
Werk:
Die wahre Geschichte um 16 Nonnen, die während der französischen Revolution guillotiniert wurden, bilden den Ausgangspunkt der Geschichte, die Gertrud Le Fort 1931 in die Novelle „Die Letzte am Schafott“ hat einfliessen lassen. Georges Bernanos hat daraus ein Theaterstück gemacht, welches unter dem Titel OPFERGANG EINER NONNE (mit Jeanne Moreau als Mère Marie) auch verfilmt wurde.
Francis Poulenc kürzte das Theaterstück selbst zum Libretto und komponierte eine durchgehend tonale Musik dazu. Damit widersetzte er sich dem damals herrschenden Zwang zum Avantgardismus und zum Serialismus. Seine Musik enthält Anklänge an Monteverdi, Verdi und Mussorgsky und demonstriert damit eine „neue Einfachheit“. Die Orchesterfarben sind meist impressionistisch gehalten, von der grossen Besetzung macht er nur sparsamen Gebrauch. Einzig das auskomponierte Niedersausen des Fallbeils führt in der Schlussszene zu einem veristischen Schockeffekt. Dieser Moment, in welchem die 16 Nonnen das SALVE REGINA intonierend das Schafott besteigen, gehört zu den eindrucksvollsten Musiktheater Momenten überhaupt.
Für art-tv: © Kaspar Sannemann, 28. März 2009