Das Musical von Mel Brooks ist ein lustvolles Spiel mit dem Genre des Horrorfilms, eine Persiflage. Es setzt auf Komik, auf Slapstick und absurde Zufälle. Der Rhythmus ist schnell, die Pointen dicht gespickt. Doch idealerweise durchzieht in der Inszenierung von Dominik Flaschka im Theater am Hechtplatz ab und an auch ein ernster Unterton die glatte Oberfläche. Denn in Zeiten genmanipulierter oder geklonter Lebewesen und spektakulären Transplantationen hat Frankenstein nichts an Brisanz verloren.
Theater am Hechtplatz | Schweizer Erstaufführung | Young Frankenstein
Möglicherweise klingt es verwegen, aber wer Regisseur Dominik Flaschka kennt, wundert sich nicht, seine Inszenierung ist besser als das Original.
Zum Stück
Dr. Frederick Frankenstein ist erfolgreicher Neurobiologe in Zürich und distanziert sich dezidiert von seinem berühmt-berüchtigten Vorfahren, Dr. Victor von Frankenstein, der aus Leichenteilen ein Monster erschaffen hat. Überzeugt davon, nichts mit dessen morbiden Forschungen gemein zu haben, reist er nach Transsilvanien, um die Hinterlassenschaft des kürzlich verstorbenen Victor zu regeln. Und wird da unter Mitwirkung des Geistes des Grossvaters überzeugt, das Erbe der Familientradition fortzusetzen. Ein unheilvoller Entscheid.
Aus Leichenteilen neues Leben
Gut 200 Jahre ist es her, als die damals kaum 20-jährige britische Autorin Mary Shelley mit dem Roman «Frankenstein oder Der moderne Prometheus» ein visionäres literarisches Werk geschaffen hat. Die gesellschaftliche und moralische Aktualität des Romans ist ungebrochen: Der Wissenschaftler Viktor von Frankenstein schafft aus Leichenteilen neues Leben.
Seine Absicht ist gut. Altes soll neu und Krankes gesund werden, doch entgleitet die Situation. Frankenstein kann die Verantwortung für das Leben, das er erschaffen hat, nicht übernehmen. Die Menschen fürchten sich vor dem zusammengeflickten Wesen, meiden das Monster, treiben es in die Isolation. So beginnt eine Spirale der Gewalt.
Aktuell wie nie
Im 21. Jahrhundert hält diese Angst vor den Möglichkeiten der Forschung an: Genmanipulierte oder geklonte Lebewesen, spektakuläre Transplantationen am menschlichen Körper oder humanoide Roboter werden mit ebenso viel Faszination wie Irritation und Abwehr von der Gesellschaft aufgenommen. Vor diesem Hintergrund spielt Dominik Flaschkas «Young Frankenstein»-Inszenierung. «Bei den Proben unterhalten wir uns oft über das menschliche Leben. Seine Grenzen, seine Möglichkeiten. Wir müssen die Haltungen der Figuren klären. Aus welchem Grund etwa führt der Protagonist Dr. Frederik Frankenstein seine Experimente aus? Ist es reiner Spass, ein blosser Kick, Geltungssucht? Oder steckt ein tieferes Interesse am Menschsein dahinter?» Die Distanz zwischen den transsilvanischen Bergen und Zürich ist nicht immer so gross, wie wir es gerne hätten.
Mel Brooks – Film und Musical
New Yorker Filmemacher, Regisseur, Komiker und Schauspieler Mel Brooks hat «Young Frankenstein», die Parodie um den Wissenschaftler Frederick Frankenstein, der in Transsilvanien mit seinen Experimenten und Eskapaden für Angst und Verwirrung sorgt, mehrfach bearbeitet. 1974 kommt «Young Frankenstein» als ein in Schwarzweiss gehaltener Horrorfilm-Verschnitt mit Gene Wilder in der Rolle des blond gelockten Forschers in die Kinos. 43 Jahre später findet der Stoff unter der Regie der US-Amerikanerin Susan Stroman 2007 auf die Bühnenbretter des New Yorker Broadway. Buch, Liedtexte und Musik stammen von Mel Brooks. Die deutschsprachige Erstaufführung war 2013 an der Oper Halle zu sehen, nun ist das Stück zum ersten Mal in der Schweiz angekommen, im Zürcher Theater am Hechtplatz.
arttv Kritik
Superlative tönen meistens nach PR oder Freundschaftsdienst. Vorsicht ist also geboten, wenn zu überschwänglich über einen Kulturanlass gesprochen oder geschrieben wird. Bei der neuen Produktion von Regisseur Dominik Flaschka ist man allerdings förmlich gezwungen, sich solcher Superlative zu bedienen. «Young Frankenstein» ist nämlich tatsächlich grossartige Unterhaltung, die von einer grandiosen Inszenierung lebt. Man staunt, welchen Einfallsreichtum an Abläufen, Umbauten und Effekten geboten wird, erst recht, wenn man weiss, wie prekär eng die Platzverhältnisse im Zürcher Theater am Hechtplatz sind. Die Minibühne am Limmatquai wird nicht zuletzt dank raffinierten Videoprojektionen zum Broadwaytempel. Wer die Szene mit Isabelle Flachsmann auf dem Heuwagen gesehen hat, weiss wovon wir sprechen. Allgemein ist «Young Frankenstein» schauspielerisch eine wahre Freude. Eric Hättenschwiler ist ein wunderbares Monster und Anikó Donáth läuft in dieser Produktion einmal mehr zur Höchstform auf. Unvergesslich wie sie uns mit dem – selbstverständlich NICHT brennenden – Kerzenleuchter den Weg durch das unheimliche Dunkel weist und wie sie die anderen Protagonisten selbstbewusst herausfordert es endlich zu sagen: JA! Sie war liiert mit dem Monster. Es was ihr «Schatzeli». Unseres ist sie und die ganze Produktion auch.