Zum ersten Mal in seiner Geschichte überrascht das Theater Uri mit einem Musical als Eigenproduktion. Im Stück «The Last Five Years» geht es um die grosse Liebe und wie diese zu Ende geht. Dabei macht die Produktion mit einigen Besonderheiten auf sich aufmerksam: Das Ensemble auf der Bühne besteht aus lediglich zwei Personen und die Erzählweise ist alles andere als konventionell. Regie führt Livio Beyeler, der Hausregisseur des Theater Uri.
«The Last Five Years» von Jason Robert Brown
- Publiziert am 28. Januar 2025
25 Jahre Theater Uri – Von Holzkohle und Hochkultur – Livio Beyeler im Gespräch
Mit Livio Beyeler sprach Markus Arnold
Livio Beyeler, was hat Sie aus Zürich ins Theater Uri geführt?
Tolle Menschen. Ich habe gemeinsam mit Michel Truniger, Ralph Aschwanden und anderen spannenden Kulturschaffenden an der Hochschule Luzern Kulturmanagement studiert. Und wie es so ist, tauscht man sich aus, teilt Visionen und Ideen. So holte mich der frisch gebackene Theaterleiter Michel Truniger 2019 für seine allererste Inszenierung «Rausch» ins Theater Uri. Das eine führte zum anderen, und wir haben immer wieder neue Ideen angepackt. 2022 wurde ich dann Hausregisseur.
Was für ein Theater haben Sie hier angetroffen?
Ein Theater, das unglaublich mutig ist und unglaublich viel zulässt. Ein Beispiel hierfür ist die erwähnte erste Inszenierung «Rausch». Ich wollte, dass die Personen auf der Bühne auf Holzkohle tanzen. Ich hatte wenig Hoffnung, dass dies bewilligt würde. Doch ich durfte die Idee umsetzen. Das hat rein künstlerisch auch supertoll funktioniert, doch der freigesetzte Kohlestaub wurde von der Zentrallüftung im ganzen Haus verteilt. Dies führte zu relativ grossen Folgeschäden. Für mich war damals klar: Nach diesem Schaden werde ich im Theater Uri nie mehr inszenieren dürfen. Doch es kam zum Glück anders.
Was sind Ihre Aufgaben als Hausregisseur?
Theaterhäuser verfügen oft über Hausregisseur:innen. Das Schauspielhaus Zürich beispielsweise hatte unter der Intendanz Stemann / von Blomberg deren acht. Der grosse Vorteil eines Hausregisseurs ist, dass er sich mit dem Haus identifiziert. Er weiss, was in der Region passiert, was die Gesellschaft beschäftigt, was die Bevölkerung vielleicht gerne mal auf der Bühne sehen würde, oder wie man vielleicht auch mal das Publikum herausfordern kann. Zudem setzt sich ein Hausregisseur intensiv mit dem Haus und dessen Infrastruktur auseinander und kann so die Möglichkeiten, die ein Theaterhaus bietet, ausschöpfen. Als ich zum Beispiel vor einem Jahr «Mephisto» inszenierte, konnten wir den Kerker unterhalb des Foyers bespielen.
Was reizt Sie als Städter daran, im ländlichen Kanton Uri zu inszenieren?
Das Publikum hier ist extrem durchmischt. Gerade das reizt mich. Eine solche Heterogenität suche ich im urbanen Raum, wo das Theater häufig einem akademisierten Publikum zudienen will, oftmals vergebens. Ich glaube, der Kanton Uri ist in dieser Hinsicht schweizweit einzigartig.
Warum ist das so?
Das hat seinen Ursprung wohl an der Struktur des Hauses: Dass hier so viele unterschiedliche Formate stattfinden können. Auch die Laienkultur. Das Haus ist in der Bevölkerung stark verankert. Viele Urner:innen kennen das Theater nicht nur aus der Publikumsperspektive, sondern oftmals auch aus der Perspektive von Kulturschaffenden. Man ist schon als Kind an der Schulaufführung, als Mitglied eines Musik- oder Theatervereins oder in anderen Formationen auf der Bühne gestanden. Das gibt eine grosse Verbundenheit mit dem Theater Uri.
Wie erleben Sie die einheimische Bevölkerung?
Die Menschen hier sind unglaublich offen und herzlich. Ich bewundere den Weitblick der Bevölkerung, was wohl mit der Geschichte Uris als Transitkanton zu tun hat. Schon immer kamen Menschen aus allen Himmelsrichtungen hier durch, was Offenheit und Neugier gefördert hat.
Sie inszenieren «The Last Five Years» anlässlich des 25-Jahr-Jubiläums des heutigen Theater Uri. Was fasziniert Sie an diesem Musical?
Es ist ein untypisches Musical: Weil es nur für zwei Personen geschrieben wurde, und weil es dem gängigen Musical-Klischee nicht entspricht. Die permanente Fröhlichkeit mit «Jazz-Hands» und Feuerwerk nach jeder Nummer gibt es nicht. Zudem hat das Musical eine aussergewöhnliche Erzählstruktur. Das Stück erzählt eine Liebesgeschichte. Der Mann, Jamie, erzählt aus seiner Perspektive chronologisch vom ersten Date bis zur Trennung. Die Frau, Cathie, lernen wir am Tag der Trennung kennen. Sie geht in ihrer Erzählung immer weiter zurück in die Vergangenheit bis zum ersten Date. Bei der Hochzeit treffen die beiden Erzählstränge aufeinander. Grosses Liebesballaden-Duett inklusive.
Wie gehen Sie als Regisseur mit dieser ungewöhnlichen Erzählstruktur um?
Damit das Publikum den Überblick behält, arbeiten wir unter anderem mit dem Kostümbild. Zu Beginn sind die Akteure jugendlich frisch, sportlich, ein wenig naiv. Mit dem Älterwerden wandeln sie sich. Jamie wird im Verlauf des Stücks immer adretter, Anzugträger, dunkler. Cathie wird über die Jahre immer blasser, langweiliger und verliert ihren Esprit. Zur Orientierung werden zudem Szenentitel eingeblendet, und im Programmheft zeigt ein Zeitstrahl, wo man sich gerade befindet. Man kann sich also problemlos mitreissen lassen von den emotionalen Songs und den überbordenden Momenten.
Für das Stück haben sich 370 professionelle Darsteller:innen aus halb Europa beworben. Ist das üblich?
Viele Bewerbungen nach einer öffentlichen Ausschreibungen sind normal. Aber «The Last Five Years» ist ein selten aufgeführtes Juwel. Viele Darsteller:innen träumen davon, dieses Stück einmal in ihrer Karriere aufzuführen. So ist das enorme Interesse zu erklären.
Die beiden Rollen werden von der Zürcherin Sarah Kappeler und vom Luzerner Angelo Canonico verkörpert. Welche besonderen Herausforderungen birgt dieses Musical für die beiden?
Der Komponist Jason Robert Brown gibt den beiden Figuren alles, was das Musiktheater hergibt: von der traurigen Ballade über das komplexe Duett bis zur schnellen Up-Temponummer. Das Musical ist für die Darstellenden eine gewaltige Challenge. Der stimmliche Range geht von ganz tief bis ganz hoch, und beide stehen fast durchgehend auf der Bühne. Auch der Bühnenraum mit zwei knapp 3 Meter hohen verschieb- und drehbaren Türmen ist aussergewöhnlich. Die beiden Darstellenden müssen sehr fit sein.
Das Musical feiert die Liebe aber auch das Scheitern. Was darf das Publikum vom Besuch des Musicals erwarten?
«The Last Five Years» ist schon fast eine Oper – überbordend in seiner Emotionalität. Es ist alles drin, was die Liebe – das wichtigste und schönste Gefühl, das wir Menschen empfinden können – beinhaltet: das absolute Verliebtsein, das Zweifeln und auch das Scheitern. Die beiden Figuren können nicht anders, als ihre Gefühle während ihrer unterschiedlichen Lebenssituationen gesanglich auszudrücken. «Burst into a song», sozusagen. Beim Musical gilt ja, wenn man etwas mit Worten nicht mehr ausdrücken kann, muss man es singen. Und wenn das auch nicht mehr geht, muss man es tanzen.
Wie viel Uri steckt in der Produktion?
Die Geschichte ist universell. Das Gefühl der Liebe ist wohl überall ähnlich, egal ob in Südafrika, Mexiko oder Uri. Doch der Grund, warum dieses Musical überhaupt aufgeführt wird, ist durch und durch urnerisch. Im Jahr 2000 wurde das ehemalige Tellspielhaus erstmals als Theater Uri genutzt. Und mit diesem emotionalen Stück wollen wir dieser 25-jährigen Laufzeit die Krone aufsetzen. Selbstverständlich sind auch ganz viele Urner:innen direkt in die Produktion involviert: der musikalische Leiter und Theaterleiter, das Team des Theater Uri, Mitwirkende des Live-Orchesters und viele Menschen hinter der Bühne.
Wie blicken Sie auf die Uraufführung vom 14. März 2025?
Ich bin in erster Linie einfach gespannt, wie das Stück auf der riesigen Bühne wirkt. Es ist noch heute ein grosses Geschenk, dass damals die Tellspielgesellschaft ein so monumentales Theater gebaut hatte. Das gibt uns heute die Möglichkeit, eine Produktion in diesem riesigen Bühnenhaus zu realisieren. Denn unser Stück braucht eine gewisse Grandezza. Dann bin ich natürlich gespannt, wie sich das Publikum mit den Figuren, den Momenten und den Songs verbindet. Ich freue mich drauf, danach mit den Leuten ins Gespräch zu kommen.
Zum Abschluss: Warum sollte man dieses Musical sehen?
Das Musical bietet grossartige Musik, gespielt von einer hervorragenden siebenköpfigen Band inklusive Celli und Violine. Die Darstellerin und der Darsteller sind fantastisch, und es gibt ein imposantes Bühnenbild mit Videoprojektionen und sehr viel Licht. Es wird ein Festspiel!
370 Bewerber:innen
Fünf Jahre dauerte die Beziehung zwischen der Schauspielerin Cathy und dem Schriftsteller Jamie. Warum und wie ihre Liebesgeschichte scheitert, davon berichtet das Musical «The Last Five Years». Das Ensemble auf der Bühne besteht aus lediglich zwei Personen. 370 Musical-Profis aus dem ganzen deutschsprachigen Raum, ja gar aus Italien und Grossbritannien hatten sich für die beiden Rollen beworben. Beim Casting Anfang 2024 im Theater Uri schwangen schliesslich die Zürcherin Sarah Kappeler und der Luzerner Angelo Canonico obenaus. Die beiden spielen die Rollen der Cathie und Jamie spielen.
Geschichte mit ungewöhnlicher Erzählweise
Während Jamie beruflich durchstartet, kommt die Karriere der Schauspielerin Cathy nicht richtig in die Gänge. Darunter leidet auch ihre Liebe. Sie entfremden sich immer mehr, bis Jamie schliesslich die Beziehung beendet. Es ist eine Liebesgeschichte, die sich so oder ähnlich millionenfach abspielt. Doch wird sie im Musical auf unkonventionelle und Weise präsentiert. Jamie erzählt die Geschichte aus seiner Sicht chronologisch vom Beginn der Beziehung bis zu deren Ende. Cathy hingegen berichtet rückwärts, also von der Trennung bis zum Kennenlernen. Die beiden Erzählstränge kreuzen sich nur einmal in der Mitte, wenn die beiden heiraten. Das Musical endet, indem Cathy sich an ihre ersten Glücksmomente mit Jamie erinnert, während Jamie Abschied nimmt.
Kleine Produktion mit grossen Emotionen
Das Kammermusical, geschrieben und komponiert von Jason Robert Brown, wurde 2001 in Chicago uraufgeführt. Es wurde 2014 in Amerika als musikalisches, romantisch-komödiantisches Drama verfilmt: mit Anna Kendrick und Jeremy Jordan in den Hauptrollen. Dies hat die Beliebtheit des Musicals weiter gesteigert, sodass das Stück heute als Kult-Musical gilt und auf der «Bucket list» vieler Musicaldarsteller:innen steht. Mit seinem emotionalen Tiefgang und der unmittelbaren Nachvollziehbarkeit berührt das Musical das Publikum, das tiefe Einblicke in das Erleben und Fühlen der beiden Charaktere erhält.
Urner Orchester
Auch die Musik trägt zur Emotionalität des Werks entscheidend bei. Die Lieder – eine Mischung aus Pop, Jazz, Klezmer und klassischen Musical-Stilen – spiegeln die Gefühlslage und das Innenleben der beiden Figuren wider. Das Orchester der Urner Aufführung besteht aus Michel Truniger (musikalischer Leiter), Rebekka Mattli (Klavier), Christian Zgraggen (Violine), Erica Nesa, Severin Suter, Monika Greenwald (Cello), Tom Horat (E-Bass), Samuel Brunner (Gitarre) und Christian Portmann (Perkussion). Regie führt Livio Beyeler, der Hausregisseur des Theater Uri.