Hervorragende Interpreten und eine intensive, genaue Inszenierung begeistern in diesem Schlüsselwerk der Romantik.
St. Gallen | Der Freischütz
- Publiziert am 13. April 2008
Kritik:
Hat uns Webers Meisterwerk, das wegen seines etwas betulichen und biederen Librettos oft belächelt, ja gar verspottet wurde, heute noch etwas zu sagen? Es hat – wie die Aufführung in St. Gallen eindrücklich unter Beweis stellt.
Giftgrün und unheimlich wird der Vorhang des Theaters während der genialen Ouvertüre von unten angeleuchtet, die geheimnisvoll fliessenden Streicher- und Holzbläsermelodien weben einen lautmalerischen Teppich, die Hörner erwecken eine vordergründig liebliche Waldstimmung, bevor Pauke und tiefe Klarinettenklänge die Welt des Bösen, des Samiel, evozieren. Immer wieder ist dieses bedrohliche Motiv unterschwellig während des Vorspiels zu hören, unterbricht das Aufflackern der Melodien. Schon hier zeigt sich, wie sorgfältig der musikalische Leiter Jiři Kout mit dem Sinfonieorchester St.Gallen gearbeitet hat.
Nachdem dieses bedrohliche Samiel-Motiv zum letzten Mal erklungen ist, in der quälenden Generalpause, bevor explosionsartig der Jubelschluss der Ouvertüre einsetzt, tritt die Verkörperung des Bösen vor den Vorhang, dieses androgyne Wesen Samiel, und zieht uns als Drahtzieher hinein in das Geschehen, in den ewigen Machtkampf zwischen Gut und Böse. Das Inszenierungsteam (Regie: Anthony Pilavachi, Bühne: Bettina Neuhaus, Kostüme: Cordula Stummeyer) beschert den Zuschauern einen spannenden Opernabend. Obwohl die Handlung in die Gegenwart verlegt ist, wird nicht gross vom Libretto abgewichen, fast nichts wirkt aufgesetzt (ausser vielleicht wenn Caspar und Max ihre Notdurft nach überstandenem Schrecken in der Wolfsschlucht am Zwischenvorhang verrichten – Angstpipi???), die Neufassung der Dialoge überzeugt ebenso wie die von Steffen Kopetzky verfassten Samiel-Texte. In ihnen prangert er uns (das Publikum) an: Ihr seid die Rotte, die das Wild hetzt. Das Böse ist in uns allen, immer gegenwärtig, bei den einen mehr, bei den andern weniger … .
Wenn dieser Samiel (bedrohlich attraktiv und zugleich abstossend: Christian Hettkamp) den Vorhang öffnet, hallen Schüsse scheinbar orientierungslos durch den deutschen Wald. Einer trifft voll auf den Schriftzug WER GOTT VERTRAUT, BAUT GUT. Das Wort GOTT wird getroffen, und GOTT fällt. An seiner Stelle erscheint immer wieder der Kopf des Bösen. Gleich in der ersten Szene werden Max buchstäblich die Hosen heruntergelassen, weil er beim Wettschiessen versagt hat. Die Gemeinheiten der biederen Dorfgemeinschaft, diese Jagdszenen aus Niederbayern, die Versagens- und Potenzängste, die durch das fiese Verhalten der Bauern in Max aufkeimen, führen ihn in die Fänge des Bösen. Er versucht verzweifelt, das Etikett SCHLAPPSCHWANZ, das ihm der blendend aussehende Gewinner Kilian (umwerfend dargestellt von Neal Banerjee) umgehängt hat, loszuwerden. Die sorgfältige Zeichnung der Charaktere zieht sich durch das ganze Stück. Ergreifend zum Beispiel, wie Max den sterbenden Caspar als einziger in den Armen hält. Die Dorfschönheiten, die im Schlussbild als Miss Brezel, Miss Wurst, Miss Bier etc. auftreten dürfen, die fiesen, eifersüchtigen (aber ausgesprochen sauber singenden) Brautjungfern, die der ahnungslosen Agathe den makaberen Scherz mit dem Totenkranz anstelle des Jungfernkranzes bereiten, sind ebenso überzeugend dargestellt und charakterisiert wie der schleimige, sich anbiedernde Politiker (Fürst Ottokar, dargestellt von David Maze). Die Choreographie der Chorauftritte erinnert manchmal an Musical Aufführungen (sich drehende Regenschirme, ein asiatischer Jäger, der während des Jägerchors aus dem Tritt fällt …), sind jedoch äusserst unterhaltsam und sinnfällig, und der Opernchor fällt musikalisch gar nicht aus dem Tritt und meistert die Auftritte hervorragend. In der zentralen Wolfsschluchtszene, diesem Ausgangs- und zugleich Höhepunkt der Schauerromantik, werden wir textgetreu und mit altbekannten theatralischen Mitteln mit Urängsten und Horrorvisionen konfrontiert.
Die Protagonisten der Aufführung bescheren uns einen Abend auf höchstem Niveau. Astrid Weber verkörpert eine starke, trotz ihrer Ängste selbstbewusste, Agathe. Höhensicher und mit wunderbar warmem Timbre gestaltet sie ihre grosse Arie (Wie naht mir der Schlummer …), setzt in der Cavatine (Und ob die Wolke …) berührende Piani ein und überzeugt mit ungemein sauberer Stimmführung. Ihr gewaltiger, hochdramatischer Ausbruch in der Einleitung zum Terzett (Dort in der Schreckensschlucht) dringt direkt ins Herz. Die schwierige Partie des Max wird von Thomas Mohr überzeugend gestaltet. Seinen hellen, strahlkräftigen Tenor setzt er äusserst differenziert ein. Ein starker Auftritt!
Dies gilt auch für seinen Gegenspieler Caspar, dem Ralf Lukas mit seinem schwarzen Bass und überzeugendem Spiel viel Profil verleiht. Die grosse Rachearie, ganz in der Tradition von Mozart (Königin der Nacht) und Beethoven (Pizzaro) komponiert, wird durch ihn zu einem Höhepunkt dieses an Höhepunkten reichen Abends. Doch auch die Ensemblemitglieder stehen hinter den Gästen nicht zurück: Evelyn Pollock singt ein quirliges, sympathisches Ännchen, ganz und gar nicht soubrettenhaft, auch sie verkörpert eine moderne, selbstbewusste, junge Frau, Marek Gasetzky ist ein hilflos biederer Erbförster Cuno und Tijl Faveyts besticht mit seiner warmen, gütigen Bassstimme in seinem kurzen Auftritt als Eremit mit Webers wohl schönster Phrase (Doch jetzt erhebt noch eure Blicke …). Er veranlasst, dass der zerstörte Schriftzug GOTT repariert wird, doch gelingt das nur halbwegs, die Bauern hängen das T verkehrt herum auf.
Die Versöhnungsversuche des Eremiten verfehlen die beabsichtigte Wirkung; als moderne junge Menschen akzeptieren Max und Agathe die verlogen religiösen Worte nicht – während die Dorfgemeinschaft die Lenkung des Ewigen preist, flüchten sie aus dieser Welt der Hypokrisie, mitten durch die erste Parkettreihe, nur wenig gebremst vom (vermutlich vorwiegend katholischen) Publikum. Für mich eine überzeugende Lösung des nicht unproblematischen Schlusses.
Auf der sich leerenden Bühne stehen sich die identisch gekleideten Gestalten des Guten (der Eremit in Weiss) und des Bösen (der triumphierend lachende Samiel in Schwarz) gegenüber. Der Kampf ist noch nicht entschieden!
Fazit:
Eine beklemmend aktuelle und musikalisch grandiose Aufführung eines zu Unrecht als verstaubt apostrophierten Werkes.
Inhalt:
Der Jägerbursche Max möchte Agathe, die Tochter des Erbförsters heiraten. Nach altem Brauch muss er dazu einen Probeschuss ablegen. Doch im Vorfeld des grossen Tages hält er dem Erwartungsdruck nicht stand. Von Versagensängsten geplagt, lässt er sich vom Werkzeug des Teufels (dem Jägerburschen Caspar) zum Giessen von Freikugeln überreden. In der grossartig schauerlichen Wolfsschluchtszene findet um Mitternacht dieses Kugelgiessen statt.
Am Tag des Probeschusses ist nur noch eine Freikugel übrig, und diese siebente Kugel gehört dem Teufel, der sie auf ein Opfer seiner Wahl lenkt. In diesem Fall auf Agathe. Ein Kranz von gesegneten, weissen Rosen des Eremiten schützt jedoch die Braut, die Kugel wird auf Caspar gelenkt. Der Eremit brummt Max ein Probejahr auf und mit der Tradition des Probeschusses soll gebrochen werden.
Musikalische Höhepunkte:
Ouvertüre
Nein,länger trag’ ich nicht die Qualen, Arie des Max, Akt I
Schweig, damit dich niemand warnt, Arie des Caspar, Akt I
Kommt ein schlanker Bursch’ , Ariette des Ännchen, Akt II
Wie naht mir der Schlummer, Szene und Arie der Agathe, Akt II
Wie? Was? Entsetzen!, Terzett, Akt II
Wolfsschluchtszene, Finale Akt II
Und ob die Wolke …, Cavatine der Agathe, Akt III
Brautchor und Jägerchor, Akt III
Für art-tv: © Kaspar Sannemann, 13. April 2008