Der letzte “Hit” aus der Feder von Richard Strauss!
Beeindruckendes Debüt von Gal James in der Titelpartie.
St. Gallen | Arabella
- Publiziert am 9. Mai 2009
Kritik:
ARABELLA ist ein nicht unproblematisches Werk: Einerseits schwingt Hofmannsthals Kapitalismus- und Gesellschaftskritik mit, andererseits ist es geprägt von einem unsäglichen Frauenbild, der stets devoten, fügsamen Frau, die sich dem Mann und seinen Wünschen unterwirft. Zudem wurde die Oper unter moralisch bedenklichen Umständen kurz nach der Machtergreifung der Nazis uraufgeführt. Regisseur Jakob Peters-Messer spielt in St.Gallen geschickt mit drei Zeitebenen: Dem Wien der Gründerzeit von 1860, der Zeit der Uraufführung (Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933) und den Menschen auf der Suche nach dem materiellen Glück im Las Vegas von heute. Das Einheitsbühnenbild (Markus Meyer) täuscht eine falsche Glitzerwelt vor, in der alles möglich scheint, eine Leuchttafel sagt YES, wobei das S natürlich ein $-Zeichen ist. Nach dem Eklat im zweiten Akt ist das ganze Trugbild zerstört, die Spielautomaten sind kaputt, der Glitzervorhang liegt auf der Erde.
Die köstlichen Kostüme von Sven Bindseil unterstreichen gekonnt das Spiel mit den Zeitebenen. Während zum Beispiel Adelaide im ersten Akt noch im eleganten Nerz auftritt, verwandelt sie sich im zweiten zu einer verhärmten Dame des Spätbiedermeier. Auch Arabella ist im ersten Akt noch der pummelige Teenie von heute, bevor sie sich für das Ballbild in die Cul-de-Paris Robe wirft, um dann im Schlussbild als elegant im Hosenrock gekleidete, reife und wissende Dame zu erscheinen. Mandryka ist ganz der naiv polternde Mann aus dem Wilden Westen, ihm nimmt man es ab, dass er eben noch mit Bären gekämpft hat. Den Auftritt der Fiakermilli nutzt das Regieteam für eine Parodie auf Hitler und die Nazis: Die Milli sieht aus wie Charlie Chaplin in „Der grosse Diktator“. Da macht es dann auch Sinn, dass „Hitler“ eine Frau, die eben noch gesungen hat „Und du sollt mein Gebieter sein und ich dir untertan“, zu seiner Ballkönigin erwählt.
Mit der Besetzung der weiblichen Partien kann das Theater St.Gallen ganz gross auftrumpfen: Das Debüt der jungen Gal James in der Titelpartie ist ein absoluter Glücksfall. Ihre samtweiche, bruchlos und mit grossem Atem geführte Stimme, die in den entscheidenden Momenten wunderbar silbern aufblüht, ist für Arabella geradezu ideal. Ihre Schwester Zdenka ist mit der knabenhaften Erscheinung und der glitzernden Stimme von Daphné Touchais ebenfalls hervorragend besetzt. Das Duett der beiden, diese wunderbare Verschmelzung hoher Frauenstimmen wie sie nur Richard Strauss zustande brachte, geriet geradezu zum Gänsehaut-Ereignis. Ihre Mutter Adelaide erhielt durch die stimm- und spielstarke, intensive Gestaltung von Hanna Schaer eine verdiente Aufwertung. Die koloraturgewandte Alison Trainer verblüffte als Fiakermilli, Katja Starke hatte einen kurzen, aber umso beeindruckenderen Auftritt als Uriella (Kartenaufschlägerin …). Wie oft bei Strauss kriegen die Männer die undankbareren Rollen. Philip Horst spielte den ungehobelten Bärenjäger Mandryka mit gekonnter Tollpatschigkeit und Naivität, verströmte auch oft viel Wohllaut, hatte jedoch im zweiten Akt einen kleinen Einbruch mit Intonationstrübungen. Der junge Corey Bix vermochte den unglücklich liebenden Matteo überzeugend darzustellen, seine stimmliche Annäherung an Strauss wird im Verlauf seiner Karriere bestimmt noch enger werden. Martin Blasius als spielsüchtiges Familienoberhaupt sang den Waldner mit Witz und Profundität.
Das Sinfonieorchester St.Gallen bestritt den Abend unter der Leitung von David Stern mit herrlich weichem Streicherklang und gleissend scharfem Blech, durch die forschen Tempi wirkten auch die kompositorisch nicht immer sehr inspirierten Konversationsszenen nie langatmig.
Nur schade, dass das Theater auf eine Übertitelung verzichtet hatte. Gerade in Anbetracht dessen, dass viele Sängerinnen und Sänger nicht deutscher Muttersprache sind.
Fazit:
Überzeugende Umsetzung eines problematischen Werks. Die Sängerinnen, insbesondere Gal James in der Titelrolle, lohnen die Reise nach St. Gallen.
Inhalt:
Der spielsüchtige, verarmte Graf Waldner und seine Gemahlin können es sich nicht leisten, zwei Töchter standesgemäss in die Gesellschaft einzuführen. Sie haben deshalb die jüngere Tochter, Zdenka, in Männerkleider gesteckt und als Zdenko ausgegeben. Die ältere Tochter, Arabella, soll reich verheiratet werden. Sie hat viele Verehrer, wartet aber auf den „Richtigen“. Zdenka hingegen hat sich in einen der Verehrer Arabellas, Matteo, verguckt. In Arabellas Namen schreibt sie ihm immer wieder Liebesbriefe. Auf einem Faschingsball kommen sich der reiche Landadlige Mandryka (der Neffe eines Militärkameraden ihres Vaters) und Arabella näher. Sie weiss nun, dass er der Richtige und ihr Gebieter sein wird. Mandryka beobachtet, wie Zdenko (-a) Matteo einen Brief mit dem Zimmerschlüssel Arabellas überreicht. Rasend vor Eifersucht begibt er sich in das Hotel, wo die Familie des Grafen Waldner logiert. Dort trifft er auf Arabella und Matteo. Die Situation eskaliert. Erst das Erscheinen Zdenkas in Frauenkleidern und ihr Geständnis führen zum Happyend.
Werk:
ARABELLA setzt den Schlusspunkt unter die erfolgreiche Zusammenarbeit von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal. Zugleich bleibt sie die letzte wirklich repertoirefähige Oper des Komponisten. Hofmannsthal starb nach der Beendigung des ersten Aufzugs. Als Huldigung an seinen Librettisten vertonte Strauss die letzten beiden Aufzüge so, wie sie der letzte Entwurf Hofmannsthals vorsah, ohne den letzten Feinschliff, den der versierte Librettist seinen Werken jeweils verpasst hatte. So bleiben einige Figuren doch relativ undifferenziert gezeichnet, die Handlung und die psychologische Durchdringung der Protagonisten weisen Schwächen auf, auch die musikalische Einfallskraft des beinahe 70jährigen Komponisten hat nachgelassen. Die Opferbereitschaft und Unterwürfigkeit der beiden Frauen ist aus heutiger Sicht beinahe unerträglich. Die beiden bekanntesten Nummern der Oper (Aber der Richtige / Und du wirst mein Gebieter sein) sind allerdings von einer betörenden Klangsinnlichkeit. Strauss liess sich dafür von slawischen Volksliedern inspirieren.
Nichtsdestotrotz wurde ARABELLA zu einem Vehikel für die ganz grossen Primadonnen der Oper: Lotte Lehmann, Maria Cebotari, Lisa della Casa (wohl DIE Arabella schlechthin), Anna Tomowa-Sintow, Kiri Te Kanawa und Renée Fleming.
Musikalische Höhepunkte:
Aber der Richtige – wenn’s einen gibt, Duett Arabella-Zdenka, Aufzug I
Mein Elemer…, Schlussszene der Arabella, Aufzug I
Das ist ein Engel, Mandryka, Aufzug II
Und du wirst mein Gebieter sein, Duett Arabella-Mandryka, Aufzug II
Das war sehr gut, Mandryka …, Finale Aufzug III
Für art-tv: © Kaspar Sannemann, 10. Mai 2009