Serena Wey erzählt die Geschichte vom Schattenfuchs nach dem Roman des Isländers Sjon. Eine gelungene Mischung aus Text, Bild und Musik.
SERENA WEY, THEATER ETC. | «SCHATTENFUCHS»
«Geliebter Freund, verzeih, dass ich so spät auf deinen letzten Brief antworte, aber hier in diesem Winkel der Welt ist seit dem Jahreswechsel so manches vorgefallen. Dinge, die in deiner Welt wohl kaum Aufsehen erregen würden, doch hier tun sie es: Eine Frau ist gestorben, und ein Mann ging verschollen.»
Ein vermeintliches Idyll zu Beginn: Eine erdschwarze Füchsin, die durch ihre Einzigartigkeit an ein Fabelwesen erinnert, liegt in der Weite einer Hochebene perfekt getarnt auf einem Stein, kein Schneesturm kann ihr etwas anhaben. Das Tier beobachtet einen Mann, der in einer Schneewehe kauert. Doch mit einem Satz wird die friedvolle Situation jäh zu einem Kampf um Leben und Tod: «Doch eines darf das Tier auf keinen Fall vergessen: dass er ein Jäger ist.» Dieser Beginn ist programmatisch für den ganzen Text: Unberechenbar bleibt jede Situation, jedes Gegenüber, heute, wie zu allen Zeiten. Es ist der 9. Januar 1883 in Island.
Im «Schattenfuchs» wird von Kämpfen erzählt, zwischen Jäger und Füchsin, zwischen Wissenschaft und Religion, zwischen Mann und Frau, bis hin zu der Verachtung des Teetrinkers gegenüber dem Kaffeetrinker, die wir durch die historische Distanz nah an uns heranlassen können, vielleicht näher, als uns manchmal lieb ist. Das alles in einer so schlichten, sanften Sprache, welche die Abgründe des Lebens und der Menschen auf wundersame Weise noch brutaler macht.
In der Spannung zwischen der poetischen Sprache, der Grausamkeit und der Liebe gegenüber einer mongoloiden Frau liegt ein Reiz, der in der Inszenierung von Schauspiel und Musik aufgegriffen und gesteigert wird. Die Musik führt den Zuschauer einerseits in eigene Assoziationsräume und anderseits in die Mystik von isländischen Sagen, die dem Schattenfuchs zugrunde liegen.
«Schattenfuchs» ist ein grosser Rachefeldzug, bei dem Jäger und Gejagte sterben, die Naturgewalten Gerechtigkeit fordern und der – obwohl keine einzige Liebe im Buch zwischen Mann und Frau wirklich gelebt werden kann – von einer allumfassenden Liebe erzählt, die, wir ahnen es nur, trotz aller Traurigkeit siegt.