Irene, Kaiserin von Byzanz, war eine der schillerndsten Herrscherfiguren des frühen Mittelalters. Mit diplomatischem Geschick, intelligenten Intrigen und einem untrüglichen Gespür für Macht hielt sie sich über Jahrzehnte auf dem byzantinischen Thron. Doch um sie ranken sich auch dunkle Legenden. Origens Bühnenspiel von Giovanni Netzer sucht den Menschen hinter dem Mythos, hinterfragt die Systeme der Macht und erzählt die Geschichte einer bemerkenswerten Frau im Umbruch der Zeiten.
Origen Festival Cultural | Kaiserin Irene
- Publiziert am 24. Januar 2022
Ende August 2023 wird auf dem Julierpass die letzte Aufführung stattfinden. Danach wird der Rote Turm abgebaut. Der ephemere Bau, der als Symbol der Vielsprachigkeit Graubündens die Passstrasse prägte, wird nur noch in unzähligen Fotografien und natürlich in der Erinnerung weiterleben. Für Origen ist dies Grund genug, sich mit der Vergänglichkeit des Seins, mit dem «Ende der Zeit» auseinanderzusetzen:
Tanz und Gesang
Giovanni Netzers Werk mischt die Bühnengattungen. Tänzerinnen geben den Hofstaat wieder, der von zeremonieller Eleganz geprägt ist – und während des Stücks zerfällt. Die Tänzer interpretieren Liebesszenen, stellen Beziehungen dar, die sich im Lauf des Stücks verändern. Der Gesang reflektiert Gemütszustände, formt sakrale Handlungen, erzählt von persönlicher Betroffenheit: Die solistisch interpretierten Partien verweisen auf Einsamkeit und Ohnmacht der Protagonisten.
Kreation vor Ort
Origens Produktionen entstehen vor Ort, im gemeinsamen, intensiven Prozess – ohne Libretto, ohne Musikpartitur, ohne fixierten Rollen. Es gilt ein Stück zu entwickeln, das den Darstellenden sprichwörtlich auf den Leib geschrieben ist, die Unmittelbarkeit der schauspielerischen Präsenz abholt, die theatralen Gattungen zu einem sinnvollen Ganzen verbindet. Kostüme werden während den Proben entworfen, die Bühne ebenfalls. Dieses Vorgehen verlangt ein eingespieltes Team, das rasch auf Probenprozesse reagiert, flexible Ateliers, schnelle Bühnenbauer.
Pracht und Verletzlichkeit
Martin Leutholds Kostüme sind von historischen Vorbildern inspiriert. Mosaikartige Dekorationen bedecken die ultraleichten, farbig bedruckten Spitzenstoffe. Weit geschnittene Mäntel erinnern an höfische Gewänder, die vom Zeremoniell erzählen und den sozialen Status belegen. Aber der Schein trügt: Die royalen Roben sind in Leutholds Entwurf keine goldstarrenden Panzer, sondern durchscheinende, filigrane Kostüme, die viel Haut zeigen und die Verletzlichkeit der Figuren betonen.
Kaiserin Irene
Die legendenumwobene Kaiserin Irene von Byzanz, eine Zeitgenossin Kaiser Karls des Grossen, hält die Fäden der Macht fest in der Hand. Sie widersetzt sich einer ganze Reihe von männlichen Thronanwärtern und pflegt die elegante, gnadenlose Intrige am Hof. Sie verbündet sich mit den Militärs ihrer Zeit, unterhält ein dichtes Netz an Informanten und inszeniert gekonnt ihren Willen zur Macht. In vielem erinnert sie an moderne Potentaten, die geltende Staatsformen aushöhlen, mit religiöser Verbrämung agieren, dynastische Interessen durchsetzen und sich missliebiger Gegner mit fingierten Gerichtsverfahren entledigen. Irene hat viele Verwandte im 21. Jahrhundert. Dennoch fasziniert die Frau auf dem oströmischen Thron: Ist sie die skrupellose Täterin, wie die Chronisten berichten? Lässt sie wirklich ihren Mann umbringen und den eigenen Sohn blenden? Oder setzt sie sich zur Wehr, um im grausamen Machtspiel der Männer zu überleben?
Musiktheater, Liederabende und Konzertreihen
«Kaiserin Irene» ist nur eine der vielfältigen Produktionen die Origen präsentiert. Neben dem neuen Musiktheater auf dem Julierpass wird der Winterspielplan umrahmt von Liederabenden und Konzertreihen in der Clavadeira in Riom. Maximilian Vogler, Marian Dijkhuizen und Alena Sojer geben – der Idee der «Carte Blanche» folgend – kammermusikalische Abende, die ihre individuelle Handschrift tragen und von musikalischer Faszination erzählen. Die Abende werden von einem Künstlergespräch begleitet. Maximilian Vogler wird zusammen mit dem Pianisten Thomas Wypior Schuberts Liederzyklus «Die schöne Müllerin» zur Aufführung bringen. Alena Sojer gestaltet mit dem Cellisten Joachim Müller-Crépon den kammermusikalischen Abend «Le grand Tango» mit Werken von Piazzolla, Stravinsky, Webern und Janáček. Marian Dijkhuizen gibt mit der Pianistin Alena Sojer den Liederabend «Zeitenwende», basierend auf Kompositionen von Elgar, Brahms, Britten, Sibelius, Mahler und Zemlinsky.
Textgrundlage: Origen Festival Cultural