Nicht ganz auf der Höhe der vergangenen Händel-Inszenierungen, aber streckenweise sehr amüsant: Wirtschaftskrieg und Geschlechterkämpfe in der Abflughalle …
Opernhaus Zürich | Rinaldo
- Publiziert am 16. Juni 2008
Kritik:
Zugegeben, die Erwartungen an diese Händel-Premiere waren hoch, vielleicht zu hoch. Nach den grossartigen Produktionen der vergangenen Spielzeiten (Semele, Orlando, Il trionfo … ) erwartete man eine nochmalige Steigerung. Doch diese trat nicht ein. Selbstverständlich spielte das Orchester „La Scintilla“ wieder vortrefflich, William Christie am Pult verströmte einen mitreissenden Enthusiasmus, das Regiekonzept, welches Claus Guth noch entworfen hatte, aber krankheitsbedingt nicht umsetzen konnte, versprach einen spannenden Abend. Woran es genau gelegen haben mag, dass der Funke diesmal nicht übersprang, ist schwierig zu ergründen.
Am Produktionsaufwand wurde jedenfalls nicht gespart. Weder das aufwändig raffinierte Bühnenbild auf der tadellos funktionierenden Drehbühne, noch die ausgeklügelte, aber oft zu gekünstelt wirkende Choreographie (Ramses Sigl) mit dem eigens für diese Produktion engagierten Tanzensemble, oder die zwischen schwankhaftem Gebaren und stilisierten Geschlechterkämpfen angesiedelte Personenführung (Jens-Daniel Herzog) schafften es, das eigentlich schwache Libretto in eine auch nur entfernt glaubwürdige oder emotional ansprechende Handlung umzusetzen. Zu distanziert, zu lächerlich blieben die Protagonisten in diesem kalten Ambiente eines gestylten Flughafens, die sich hier einen Wirtschaftskrieg zwischen West und Ost lieferten. Doch mehr als gepflegte Langeweile vermochte sich nicht einzustellen. Einige Trockeneisschwaden und Stroboskopgewitter reichen eben nicht mehr aus, um Schauder zu erregen.
Darüber hinaus gab es aber durchaus auch sehr witzige, geistreiche Einfälle. So die Sirenen als Hostessen einer orientalischen Airline oder Goffredo, Rinaldo und Eustazio, die sich als Adventure-Touristen verkleidet auf den Weg in Armidas Reich machen, oder der Passagier, welcher seinen Vogelbauer vor der Toilettentür abstellt, wodurch Almirena zu ihrer herrlichen Vögelchen-Arie animiert wird, oder Almirenas Treueschwüre, die von Armidas Amazonen konterkariert werden.
Gesungen wurde durchwegs sehr schön an diesem Abend. Einige Koordinationsprobleme mit dem Orchester werden sich im Verlaufe der Aufführungen sicher noch legen. Die Almirena von Ann Helen Moen muss zweifellos an erster Stelle genannt werden. Händels grossen „Hit“ Lascia ch’io pianga sang und gestaltete sie bis zum tränenerstickten Ende hinreissend. Juliette Galstian sang den Rinaldo mit metallischem Timbre und glänzte mit furiosen stimmlichen Läufen. Darstellerisch blieb sie noch etwas verhalten, ihre Emotionen kamen nicht über die Rampe. Das Cara sposa klang so herrlich, und doch wollte sich keine Rührung einstellen. Liliana Nikiteanu bestach mit dunklem Klang und sauber geführter Stimme in der Hosenrolle des Goffredo, Malin Hartelius war eine restlos überzeugende, wandlungsfähige Armida, vom Vamp in Rot zur Spionin mit Kopftuch, von der biederen Kopie Almirenas mit weissem Handtäschchen zur eifersüchtig rasenden Zicke. Ruben Drole sang einen überaus stilsicheren Argante, Katharina Peetz gestaltete auf amüsante Art und Weise den Eustazio.
Der Schluss war dann schlichtweg genial: Das von Händel und seinem Librettisten so hastig hingeworfene lieto fine wurde in der Arbeit von Jens-Daniel Herzog und seinem Team zu einem rasanten, doppelbödigen Kabinettstück voller Überrschungen.
Fazit:
Trotz des grossen Aufwands und des stilistisch einwandfreien Musizierens nicht restlos geglückt, doch Ann Helen Moen und Malin Hartelius lohnen den Besuch.
Musikalische Höhepunkte:
Augelletti, Arie der Almirena, Akt I
Furie terribili, Arie der Armida, Akt I
Cor ingrato, Arie des Rinaldo, Akt I
Lascia ch’io pianga, Arie der Almirena, Akt II
Cara sposa, Arie des Rinaldo, Akt II
Inhalt:
Jerusalem, zur Zeit des ersten Kreuzzuges, 1096
Goffredo und sein Feldherr Rinaldo stehen kurz vor der Einnahme der heiligen Stadt. Falls die entscheidende Schlacht gewonnen wird, verspricht Goffredo seinem Feldherrn die Hand seiner Tochter Almirena. Der Herrscher Jerusalems, Argante, setzt auf die Künste der Zauberin Armida. Diese entführt Almirena, um so Rinaldo in ihr Reich zu locken, was ihr auch mit Hilfe von Sirenen gelingt. Argante entflammt in triebhafter Leidenschaft zu der gefangenen Almirena, die jedoch standhaft bleibt. Auch Armida, eigentlich Argantes Gespielin, ist ganz vernarrt in Rinaldo und lässt nichts unversucht, ihn für sich zu gewinnen. Doch auch er weist ihre Annäherungsversuche ab. Mit magischen Kräften ausgestattet dringen Goffredo und seine Männer in Argantes Festung ein und befreien Rinaldo und Almirena. Armida versucht vergeblich, Almirena zu ermorden. Da Argante und Almirena ihre Schuld bereuen und zum Christentum konvertieren, werden sie begnadigt.
Werk:
Händels erste für London komponierte Oper erzielte mit ihren eingängigen, kontrastreichen und differenziert ausgestalteten Arien und ihren szenischen Effekten auf Anhieb einen durchschlagenden Erfolg. Sie gilt aber als schwächste seiner Zauberopern, nicht zuletzt wegen des Librettos. Zum letzten Mal erklang sie 1999 in Zürich in einer konzertanten Aufführung in der Tonhalle unter Christopher Hogwood und mit Cecilia Bartoli als Almirena.
Für art-tv: © Kaspar Sannemann, 15. Juni 2008