Uraufführung des neusten Werks von Edward Rushton,
Kinderoper – auch für Erwachsene-, wunderbar poetisch;
stimmungs- und humorvoll inszeniert!
Opernhaus Zürich |Maulbeerbaum
- Publiziert am 27. Januar 2008
Kritik:
Les absents ont toujours tort lautet ein altes französisches Sprichwort. Es trifft auf die gestrige Uraufführung im Opernhaus Zürich ganz besonders zu. Man fragt sich, woran es wohl gelegen haben mag, dass diese Vorstellung dermassen schlecht besucht war. Wollte sich ein grosser Teil des Premierenpublikums nicht auf ein zeitgenössisches Werk einlassen? Wollte es dagegen protestieren, dass zwar eine (vermeintliche) Kinderoper im Abonnement angeboten wird, für CARMEN aber extra bezahlt werden muss? Dass zu Eintrittspreisen bis zu Fr. 270.00 die Karten nicht wie warme Semmeln im freien Verkauf weggehen würden, war zu befürchten und müsste die Verantwortlichen im Opernhaus dazu bewegen, ihre Preispolitik zu überdenken.
Wer sich jedoch mit offenen Ohren und offenem Herzen auf das neueste Werk des jungen Komponisten Edward Rushton einliess, konnte bewegt und erfüllt nach Hause gehen. Die Partitur ist voll von wunderbar impressionistisch und lautmalerisch angehauchten Schönheiten, dabei durchaus tonal, und es wurde meist sehr textverständlich gesungen. Die 21 hervorragenden Instrumentalisten unter der einfühlsamen Leitung von Ralf Weikert brachten die Finessen der Partitur wunderbar zum Klingen. Das Intermezzo sinfonico vor der Albtraumszene war etwas vom Wunderbarsten, das ich in zeitgenössischen Opern gehört habe.
Aglaja Nicolet und ihr Bühnenbildner Martin Kinzelmaier brachten eine sehr stimmungsvolle, in jeder Beziehung farbige und kurzweilige Inszenierung der tiefsinnigen Parabel auf die sinnvoll eingesetzte Drehbühne.
Kinder durch Erwachsene darstellen und singen zu lassen ist nicht ohne Risiko, so eine Besetzung könnte leicht mal läppisch, peinlich oder betulich wirken. Das war in Zürich NICHT der Fall: Andreas Winkler überzeugte restlos in der Rolle des verträumten, aber auch aufmüpfigen und spitzbübischen Wim, Sen Guo und Rebeca Olvera waren geradezu ideal besetzt als rotzfreche Töchter des Bürgermeisters, aber auch als koloraturgewandte Glühwürmchen in der fantastischen Traumszene. Margaret Chalker sprang relativ kurzfristig in die Produktion ein und bot ein umwerfend komisches Porträt dieser an eine amerikanische Serienmutter aus den 50er Jahren erinnernde Frau Bim; nur schon ihr Kampf mit dem Liegestuhl und dem Sonnenschirm war eine darstellerische Glanzleistung. Valeriy Murga stand ihr in nichts nach als Vater mit Machoallüren. Rolf Haunstein glänzte als stimmgewaltiger Bürgermeister und fremder Besucher. Der junge, stimmschön philosophierende Morgan Moody als Alter Mann vervollständigte dieses spielfreudige Ensemble.
Bleibt die Frage: Ist dieses Werk als Kinderoper geeignet? Das werden nur die jungen Besucherinnen und Besucher selbst beantworten können. Das Opernhaus empfiehlt den Besuch ab 10 Jahren. Zweifel sind angebracht, ob bei Kindern und Jugendlichen in diesem Alter die Hörgewohnheiten aus Internet und Medien die Offenheit kleinerer Ohren nicht schon verdorben haben. Jüngere Kinder sind meist neugieriger und haben weniger Berührungsängste mit so genannt moderner Musik, werden sich aber besonders im eher philosophisch gehaltenen ersten Teil wahrscheinlich etwas langweilen. Dafür bietet das Werk allen wunderbare Identifikationsfiguren, mehr oder weniger lustige Reime (Äquator – Deckenventilator, Beefsteak Tartar ist unschlagbar, Widiwidiwitt – guten Appetit) und einen sehr poetischen, nachdenklich stimmenden Schluss.
Anmerkung:
Für Kinder werden zwei Vorstellungen angeboten, am 3. und am 6. Februar, wobei erstere bereits ausgebucht ist. Leider sind in dieser Zeit in vielen Zürcher Gemeinden bereits Sportferien angesetzt. Alle andern Vorstellungen werden zu Volksvorstellungspreisen (15.2. und 6.3.)oder in Kategorie IV angeboten (Fr. 32.— bis 198.—), Kinder bezahlen allerdings für alle Vorstellungen Legi-Preise (Fr. 15.— bis Fr. 45.—).
Musikalische Höhepunkte:
Besuch: Zehn Sonnen scheinen, Szene 3
Intermezzo sinfonico nach Szene 4
Glühwürmchen, Szene 5
Die gesamte Szene 6 mit dem Gemeindepräsidenten, der verzweifelten Frau Bim und den Maden in den Frühstücksflocken von Neli und Nilu
Fazit:
Bezaubernde Oper – nicht nur für Kinder -, spielfreudiges, wunderbar ausgewogenes Ensemble, grossartige Leistungen aus dem Orchestergraben.
Synopsis:
Der Sohn von Herrn und Frau Bim, der zehnjährige Wim, ist etwas verträumt und spielt meistens für sich allein im Garten. Dort wird er oft von den Nachbarsmädchen Neli und Nilu, den Töchtern des Gemeindepräsidenten, gehänselt. Auch zu seinen Eltern hat er keinen rechten Draht, sind sie doch mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Als nun ein seltsamer Alter auftaucht, dem der Vater den Schatten seines Maulbeerbaumes verkauft, bekommt Wim unverhofft einen Freund, der sich auf seine Ängste und Nöte einlässt, ihm Naturphänomene erklärt und ihm – gemeinsam mit einem geheimnisvollen Besucher, den er zum Kaffee eingeladen hat – neue Welten eröffnet.
Den Eltern wird der Alte zunehmend lästig, als er dem Lauf des Schattens am Abend bis in die Küche folgt; Frau Bim ist zutiefst beunruhigt, erwarten sie doch am kommenden Tag den Besuch des Gemeindepräsidenten. Herr Bim, der sich an seinen Vertrag gebunden fühlt, beschliesst, das Problem auszusitzen. Als mit der hereinbrechenden Nacht der Schatten verschwindet und mit ihm der Alte, atmet er erleichtert auf. Doch er hat seine Rechnung ohne die Sonne gemacht. Als am folgenden Tag der Gemeindepräsident mit Neli und Nilu zur Mittagszeit erscheint und festlich bewirtet wird, fällt der Schatten in das Zimmer und der Alte macht es sich in ihm gemütlich. Der Gemeindepräsident, der zunächst einen Drei-Generationenhaushalt vermutet, übergiesst Herrn Bim mit blankem Hohn, als er die wahren Hintergründe erfährt. Blossgestellt, beschliesst Herr Bim Hals über Kopf mit seiner Familie wegzuziehen und dem Alten sein Haus zu überlassen. Doch als die Koffer gepackt sind und das Taxi zur Abfahrt bereit steht, ist der Alte plötzlich verschwunden. Neli und Nilu, die eben noch die Abreise von Wim bedauerten und ihm ein Abschiedsgeschenk überreichen, beginnen wieder damit, ihn zu hänseln.
Für art-tv: Kaspar Sannemann, 28. Januar 2008