Schumanns Faust Szenen erstmals auf der Bühne des Opernhauses; eine Installation des österreichischen Aktionskünstlers Nitsch.
Opernhaus Zürich l Goethes Faust
- Publiziert am 23. Juni 2007
Kritik:
(SK)Faust zum Dritten: Nach Busonis „Doktor Faust“ zu Beginn der Spielzeit und der Wiederaufnahme von Gounods „Faust“ folgt nun zum Abschluss der Spielzeit – und passend zum musikalischen Schwerpunkt der Festwochen – die szenische Aufführung von Schumanns schwierigem Spätwerk. Während sich die meisten Komponisten, die sich mit diesem Stoff auseinandersetzten, auf den leichter zugänglichen ersten Teil von Goethes Werk konzentrierten, legte Schumann sein Hauptaugenmerk auf den zweiten Teil von Goethes Dichtung. Eine Dichtung, der Thomas Mann „schrullige Ungeniessbarkeit“ vorwarf. Schumann war sich selber nicht ganz sicher, ob er das Ganze als Oper oder als Oratorium betiteln sollte. So entschloss er sich, das Werk „Szenen aus Goethes Faust“ zu nennen. Die Frage stellt sich nun, ob dieses Opus für die Bühne geeignet ist. In Zürich entschloss man sich, den österreichischen Aktionskünstler Hermann Nitsch mit der Ausstattung zu betrauen. Nitsch, bekannt durch sein Orgien/Mysterien Theater, illustrierte den Abend mit zahllosen Farbprojektionen, die von reifen Trauben, Berglandschaften und Sonnen bis zu abstrakten Farbkompositionen reichten, in unaufhörlichem, schnellem Wechsel. Zeitweise ergaben sich so ansprechende Bilder, aber auch eine Unruhe, die von der Musik ablenkte und an der Grenze zum anthroposophischen Kitsch war.
Von einer Personenführung (Andreas Zimmermann) war nichts zu sehen, ausser dass die Protagonisten immer wieder eine Kruzifix-Haltung einnehmen mussten, die Sängerinnen und Sänger standen steif auf der Bühne herum, der Chor wirkte hilflos und oftmals peinlich. („Rette mich“ – alle Hände rauf…) Selbstverständlich durfte ein Blutbad, das Markenzeichen Nitschs, auf der Bühne nicht fehlen. In der Kathedralenszene des ersten Teils wurde genüsslich ein Schwein ausgenommen, Theaterblut floss in Strömen, Kot und Eingeweide wucherten unaufhaltsam aus dem aufgeschlitzten Bauch und wurden wieder hineingestopft. Die ersten Besucher verliessen den Saal…
Um auf die aufgeworfene Frage zurückzukommen: Eine konzertante Wiedergabe wie sie im Frühjahr mit dem selben Team bereits in der Tonhalle stattgefunden hatte, hätte ausgereicht. Die szenische Aufführung brachte dem Werk und seinem Verständnis kaum etwas; ein Riesenaufwand, wenig nachhaltige Wirkung. Und dies für nur vier Aufführungen.
Musikalisch blieben bis zur Pause wenig Wünsche offen, Franz Welser-Möst führte das Orchester sicher und differenziert durch die Partitur, rhythmische Präzision und spannungsvolle Dramatik überzeugten schon in der Ouverture. Leider konnte dieses Niveau im dritten Teil nicht gehalten werden. Patzer häuften sich, die Choreinsätze wackelten, die Aufführung schien streckenweise auseinanderzubrechen und wurde zähflüssig. Kein Wunder, dass einer der Chorknaben mit Nasebohren begann. So kam wenigstens noch etwas Bewegung in diese desolate, langatmige Szene.
Von den Solisten ragte Simon Keenlyside in der äusserst anspruchsvollen Rolle des Faust heraus. Grossartig seine Stimmführung, seine Diktion und auch seine physische Erscheinung. Durch die zahlreichen rituellen Waschungen auf der Bühne kamen seine weiblichen und männlichen Anhänger in den Genuss, den perfekten Body des Starbaritons in wechselnder Unterwäsche zu bewundern. Allerdings stellten sich auch bei ihm im dritten Teil hörbare Ermüdungserscheinungen ein. Malin Hartelius fand anrührende Töne für das Gretchen, Roberto Saccà war eine Luxusbesetzung für die relativ kleine Rolle des Ariel/Pater Ecstaticus und musste aus schwebenden Positionen singen, was ihm bestimmt nicht so behagte, Günther Groissböck gab einen sonoren Mephisto. Von den Sängern und Sängerinnen der kleineren Partien überzeugte einmal mehr Eva Liebau als „Sorge“. Welch wunderbare, glockenreine Sopranstimme!
Wohlwollender, aber nicht ekstatischer Applaus zum Schluss.
Fazit:
Das Faust-Projekt ist leider auf hohem Niveau gescheitert.
Trotzdem bietet die Zürcher Oper eine hörenswerte Auseinandersetzung mit einem interessanten, selten gespielten und innovativen Werk Robert Schumanns.
Synopsis:
1. Teil: Faust trifft Gretchen im Garten, ist von ihrer Anmut entzückt und führt sie zu höchsten Liebeswonnen.
Gretchen betet voller Verzweiflung zur Mutter Gottes. Sie ist entehrt und bittet um Vergebung für ihr sündiges Verhalten.
Gretchen in der Kathedrale: Zu den Gesängen des Dies irae schreit die Seelenpein aus ihrer Brust.
2. Teil: Faust erwacht auf einer Blumenwiese. Ariel bittet die Elfen, Fausts schwere Gedanken von ihm zu nehmen. Faust preist die Schönheit der Natur.
Mangel, Schuld, Sorge und Not schleichen sich in Fausts Gedankenwelt. Faust erblindet, doch das Licht der Erkenntnis leuchtet in ihm.
Mephisto und seine Lemuren schaufeln Fausts Grab. Faust, immer noch blind, hat eine Vision des Paradieses. „Augenblick, verweile doch…“ Faust sinkt tot ins Grab.
3. Teil: Heilige Mönche, Engel und selige Knabenchöre preisen eine Vision des Himmels. Faust ist erlöst, als Doktor Marianus spricht Faust zur Himmelskönigin. Alle bitten die Mater Gloriosa auch Gretchen zu verzeihen. Faust preist das „Ewig Weibliche“.
Musikalische Höhepunkte:
Szene in der Kathedrale „Ach neige, du Schmerzenreiche“ mit dem anschliessenden gewaltigen Dies irae Chor,
Szene Faust – Sorge „Ist jemand hier?“
Für art-tv: © Kaspar Sannemann, 25.Juni 2007