Schumanns einzige Oper, zum ersten Mal in der Schweiz auf der Bühne.
Grossartige szenische und musikalische Realisierung. Ein MUST für Opernliebhaber!
Opernhaus Zürich | Genoveva
- Publiziert am 18. Februar 2008
Kritik:
Mit dem ersten schmerzhaften Aufbäumen der Streicher in der Ouvertüre wird die ganze Zerrissenheit und Seelenqual der Protagonisten dieser Oper hörbar gemacht. Die Klänge, die Nikolaus Harnoncourt und das imponierend aufspielende Orchester der Oper Zürich aus dem Orchestergraben aufsteigen lassen, sind im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend. Da ist kein romantisch verklärter, geglätteter Schumann zu hören, sondern eine aufwühlende, tiefgründige und raue Musik, die nicht nach Gefälligkeit strebt. Die Authentizität dieser Musik, die Originalität und auch die Modernität dieser Harmonien gehen unter die Haut.
Eine schwarze Bühne mit einem grell weissen Guckkasten darin hat Rolf Glittenberg entworfen. Im gleissenden Licht dieses weissen Zimmers entblössen die vier Hauptpersonen des Stücks ihre Seele, kämpfen mit ihren Ängsten, ihren Widersprüchen, ihren Phobien. Ein Stuhl, auf den sie sich immer wieder flüchten, wenn sie mit ihren Gefühlen nicht klar kommen, ein Waschbecken, aus dem auch mal Blut rinnt, ein Spiegel, der am Ende zerbrochen ist, sind die einzigen Versatzstücke – mehr braucht es nicht in diesem zu Beginn klinisch sauberen Raum (der im Verlauf des Abends immer besudelter wurde), um die Psychen dieser Personen zu sezieren. Und wie Regisseur Martin Kušej das tut, ist schlichtweg grossartig. Die Geschehen entwickelt eine Sogwirkung, der sich niemand entziehen kann. Sämtliche Handlungsträger sind ständig anwesend, auch wenn sie es gemäss Libretto eigentlich gar nicht sein sollten; das Geschehen spielt sich in ihren Köpfen ab. Von aussen her bricht nur am Ende des zweiten Aktes der Mob herein und beschmutzt die bis dahin reine Genoveva mit seinen schmutzigen und blutigen Händen. Die vermeintlichen Sittenwächter sind selbst die ärgsten Schmutzfinken. Eine beklemmende Szene. Aber auch der angeblich so treue Ehemann Siegfried lässt sich zum Oralsex mit Margaretha verführen, deshalb ist es auch schlüssig, dass er sie am Ende umbringt. Doch obwohl das bigotte, wankelmütige Volk (der Chor des Opernhauses meistert die Aufgabe grossartig) die Bühne zur Wiedervereinigung von Genoveva und Siegfried mit Marien-Statuen voll stopft, die beiden kommen nicht mehr zusammen. Alle Figuren sind am Ende tot oder gebrochen. Am eindrücklichsten gelang dem Regieteam wohl die Spiegelszene: Das Zimmer verschliesst sich, das weisse Licht kommt nun von unten und darauf erblickt Siegfried seine schmutzigen Fantasien. Die nackte Genoveva wird von Fischen bedrängt (die moralisierenden Christen), die wie Spermien auf und in sie eindringen.
Die Sängerinnen und Sänger, ja man müsste gerechterweise sagen, die Singschauspielerinnen und –schauspieler erbringen vokal UND darstellerisch Glanzleistungen. Sie brillieren mit vorbildlicher Diktion, wunderschön aufblühenden Stimmen und gewaltiger Interpretationskraft. Sie alle beherrschen restlos überzeugend sowohl den liedhaften Gesangsstil als auch die ariosen Aufschwünge und die dramatischen Rezitative. Juliane Banse berührt mit intensivstem Spiel; ihre beiden Gebete (O du, der über alle wacht, und Die letzte Hoffnung schwindet) wurden zu Höhepunkten dieses reichen Abends. Hier wurden auch Parallelen zur letzten Premiere (LE CID) sicht- und hörbar: Nicht nur dass es nebenbei wieder um einen Krieg gegen die Mauren geht, auch die Protagonisten sehen in ihren dunkelsten Stunden Erscheinungen von Heiligen, beim CID war es der heilige Jakob, bei GENOVEVA die Muttergottes.
Die gespaltene Persönlichkeit des Golo stellt der Tenor Shawn Mathey überzeugend dar. Seine klare, helle Stimme und die saubere Intonation lassen den verzweifelten Bösewicht geradezu sympathisch erscheinen. Martin Gantner ist ein begeisternd singender Siegfried, sein voluminöser Bariton strahlt und funkelt aufs Herrlichste. Cornelia Kallisch verfügt über die grossartigen stimmlichen und darstellerischen Möglichkeiten, um die Dämonie und die Tragik der Margaretha hör- und fühlbar zu machen. Wie sie sich von der heimtückischen, heidnischen Amme zur resignierenden Schnapsdrossel wandelt, von der Verführerin zum verängstigten Opfer, zeigt die fantastischen darstellerischen Fähigkeiten dieser Künstlerin. In dieser Figur hat Schumann bereits Wagners Kundry vorweggenommen, eine Rolle die Frau Kallisch ebenfalls an diesem Haus gestaltet hat.
Wie immer in Zürich sind auch die kleineren Rollen mit grossen Stimmen besetzt – welch ein Luxus (und ein Glück für die Zuschauer), wenn man einen Alfred Muff als Drago hat, einen Ruben Drole als einpeitschenden Hidulfus. Tomasz Slawinski und Matthew Leigh wirken bedrohlich echt als sadistische Übeltäter Balthasar und Caspar – ausgerechnet Namen der heiligen drei Könige – welch rabenschwarze Ironie…
Fazit:
Diese Produktion MUSS man gesehen haben! Spannendes Musiktheater, grandiose musikalische und szenische Umsetzung.
Musikalische Höhepunkte:
Ouvertüre
Frieden zieh’ in meine Brust, Arie des Golo, Akt I
Wenn ich ein Vöglein wär’, Duett Genoveva-Golo, Akt II
O du, der über alle wacht, Gebet der Genoveva, Akt II
Sacht, sacht aufgemacht, Finale Akt II
Ich sah ein Kind im Traum, Finale Akt III
Die letzte Hoffnung schwindet, grosse Szene der Genoveva, Akt IV
O lass es ruhn, dein Aug’ auf mir, Duett Genoveva-Siegfried, Akt IV
Bestreut den Weg…Nun hebet Herz und Hände, Doppelchor, Akt IV
Werk:
Schumanns einzige wirkliche Oper gilt als Hauptwerk der deutschen Opernromantik, mischen sich darin doch Aspekte der Schauerromantik mit biedermeierlichen Zügen. Das geradezu aufgesetzt wirkende Happyend weist auf des Komponisten wichtigstes künstlerisches Anliegen hin, die moralische Besserung einer unheilen Welt. Die dramatische Ouvertüre zählt zu den kompositionstechnisch reifsten Leistungen Schumanns, die Grund- und Erinnerungsmotive werden darin angelegt und im Verlaufe des Werks subtil weiter entwickelt. Liedhafter Gesangston mischt sich mit grossartig differenzierten Orchesterfarben und einer Harmonik, die vor allem im ersten Teil bereits in „Tristan“-Nähe gerät.
Inhalt:
Die Oper spielt um das Jahr 730 n. Chr. in Straßburg. Genoveva ist die Gemahlin des Pfalzgrafen Siegfried, der mit seinen Kriegern auszieht um die Mauren zu bekämpfen. Deswegen setzt er Golo als Hüter seiner Frau und Verwalter seiner Burg ein. Doch Golo, der in Genoveva verliebt ist, wäre lieber mit in den Krieg gezogen, aber als Bastard ist ihm diese Ehre verwehrt. Da Genoveva seine Annäherungen nicht erwidert, nur an ihren abwesenden Gemahl denkt und Golo beleidigt, schwört dieser Rache. Zusammen mit seiner einstigen Amme, der Zaubererin Margaretha, lockt er den Hofmeister Drago in Genovevas Gemächer. Margaretha beschuldigt die Beiden, eine Beziehung zu haben, woraufhin Drago vom Diener Balthasar erstochen wird und Genoveva in den Burgturm gesperrt wird.
Margarethas Versuche, den Pfalzgrafen Siegfried zu vergiften, der verwundet in Strassburg liegt, sind misslungen. Mit Hilfe eines Zauberspiegels gaukelt sie ihm Genovevas vermeintliche Untreue vor. Er beschliesst den Tod seiner Frau.
Golo versucht abermals, Genovevas Liebe zu erringen, sie vor der drohenden Hinrichtung zu retten und mit ihm zu fliehen. Doch sie weist ihn erneut zurück. Er entfernt sich und beendet sein Leben.
Unterdessen hat Dragos Geist Margarethe gezwungen, Siegfried die Wahrheit zu enthüllen.
Im letzten Moment kann Siegfried seine Gemahlin retten. Der Bischof segnet die beiden Liebenden unter dem Jubel des Volkes.
Für art-tv: © Kaspar Sannemann, 18. Februar 2008