Grosses Musiktheater, Emily Magee glänzt als tragische Titelheldin.
Glutvolles, berauschendes Dirigat von Nello Santi!
Opernhaus Zürich | Francesca da Rimini
- Publiziert am 4. Juni 2007
Kritik:
(SK) Üppig, schwülstig, irisierend und glutvoll lodert Zandonais Musik aus dem Orchestergraben. Der verdiente Zürcher Publikumsliebling Nello Santi dirigiert die schwierige Partitur meisterhaft und ebenso spielt das wunderbare Orchester der Oper Zürich. Auch die zarten, impressionistischen Passagen entfalten ihren Reiz, es entsteht an diesem Abend eine berauschende Sogwirkung, der sich das begeisterte Premierenpublikum nicht entziehen kann.
Doch wie setzt man diese tragisch-schwülstige Geschichte (die auf Dante zurückgeht und vom italienischen Nationalhelden und Weggefährten Mussolinis, Gabriele D`Annunzio dramatisiert wurde) in Szene, ohne dass sie lächerlich oder verstaubt wirkt?
Regisseur Giancarlo del Monaco, dessen Vater schon ein gefeierter Interpret des Paolo war, und sein Bühnenbildner (Carlo Centolavigna) entschieden sich für eine Verlegung der mittelalterlichen Familienfehde in D`Annunzios Villa „Vittoriale“ am Gardasee, die sie detailgetreu auf der Zürcher Bühne nachbauten. Welch eine Ausstattungsorgie war da zu bestaunen, manchmal fürchtete man beinahe, von all dem Schwulst erdrückt zu werden und geriet in Versuchung, die Kitsch-Polizei zu rufen.
Im ersten Akt ein üppig wuchernder Garten, samt lebendigem Falken, im zweiten Akt der effektvolle Auftritt Gianciottos aus dem Bug des mit der Venus von Milo ausstaffierten Schlachtschiffs, im dritten Akt ein riesiges Schlafgemach, voll gestopft mit Brokatkissen, Statuen, Büsten und Wänden voller Gemälde von Raffael bis Klimt und mittelalterlichen Schriften, im vierten Akt schliesslich ein fürstlicher Saal mit einer übergrossen Statue des Perseus, der soeben die Medusa enthauptet hat, und für das Schlussbild befinden wir uns wieder im ehebrecherischen Schlafgemach. Keine Wunder, dass lange Umbaupausen vonnöten waren.
Die Kostüme der Damen sind von einer Pracht sondergleichen, an Seide und weich fliessendem Chiffon wurde nicht gespart. Und doch – noch selten flossen Szene und Musik derart stimmig ineinander, Ohren und Augen wurden satt, sehr satt. Übersatt?
Beinahe 100 Jahre nach der Uraufführung gelangt dieses Werk des zu Ende gehenden Verismo nun zur Zürcher Erstaufführung. Wir erlebten Rollendebüts aller Beteiligten, nur der Dirigent Nello Santi war vertraut mit dem Werk, er hatte es in den 70ern und 80ern des letzten Jahrhunderts schon in Paris und an der Met dirigiert.
Die Titelpartie erfordert eine Sängerin, die sowohl grosse Tragödin als auch zart fühlende Schwester und leidende Geliebte sein kann. Emily Magee ist ein wahrer Glücksfall. Ihr samtig dunkles Timbre, ihre mühlelosen Attacken und weichen Legati sind eine Offenbarung. Wir hoffen, die Sängerin noch oft am Opernhaus zu hören. Die weiteren Frauenrollen sind zwar nicht sehr umfangreich, doch enorm wichtig für das gesamte Klangbild und die Aura, die dieses Werk prägen. Sie alle verdienen grosses Lob, von der verletzlichen Schwester Samaritana (Martina Welschenbach, ganz wunderbar) zur geheimnisvollen Sklavin Smaragdi (aus dem Opernstudio die vielversprechende Hélène Couture) und den Freundinnen Francescas, die von Christiane Kohl, Irène Friedli, Katharina Peetz und Sandra Trattnigg fantastisch gesungen wurden.
Die unterschiedlichen Malatesta Brüder wurden sehr differenziert verkörpert von Juan Pons (als gelähmter Gianciotto im Rollstuhl), Marcello Giordani (als Paolo, der Schöne) und Boiko Zvetanov (als Malatestino, der Einäugige). Die Szene mit dem abwartenden, sich immer mehr in Misstrauen und Eifersucht steigernden Juan Pons und dem miesen, hinterhältig-brutalen Perversling Malatestino geriet zu einem der vielen musikalischen Höhepunkte des Abends. Boiko Zvetanov hat hier eine Sternstunde und brilliert mit seinem geradlinig strahlend geführten Tenor in dieser schwierigen Partie sowohl gesanglich als auch darstellerisch. Hier war nun auch eine überzeugende Personenführung zu erleben, die man im kriegerischen 2. Akt noch schmerzlich vermisst hatte. (Chor: Speer rauf, Speer runter…)
Marcello Giordani kann sich im Verlauf der Aufführungen sicher noch etwas lösen, seine Höhe kommt oft etwas dünn, den Piani fehlt die Substanz. Doch ist ihm zu Gute zu halten, dass er sich nicht ins Brüllen rettet. Darstellerisch wirkt er eher etwas steif, auch seine Kostüme (Maria Filippi) gerieten leider nicht gerade vorteilhaft. Wenn er schon „der Schöne“ heisst, müsste er auch entsprechend gekleidet sein…
Grosser Jubel für alle Beteiligten!
Fazit: Lohnenswerte Begegnung mit einem viel zu selten gespielten, musikalisch äusserst reizvollen Werk.
Wer es schwülstig mag, kommt voll auf seine Rechnung! Hommage an die Ausstattungsoper!
Musikalische Höhepunkte:
Interessanter Kontrast zwischen den eher lyrisch impressionistisch angehauchten Akten 1 und 3 und den kriegerisch brutalen Akten 2 und 4.
Liebesduette in den Akten 3 und 4, Auftritt Francescas in Akt 1 (mit Damenchor, erinnert an „Butterfly“)
Auseinandersetzung Gianciotto-Malatestina in Akt 4
Synopsis:
Francesca wird aus politischen Gründen zur Heirat mit dem verkrüppelten Gianciotto Malatesta gezwungen. Dessen schöner Bruder Paolo kommt als Abgesandter der Familie Malatesta nach Ravenna um die Brautwerbung zu überbringen. Dabei verlieben sich die beiden ineinander. Doch die Eheschliessung mit Gianciotto findet trotzdem statt.
Sie begeht den Ehebruch mit Paolo, wird jedoch vom dritten Bruder, dem einäugigen Malatestino, dabei beobachtet, erpresst und – da sie ihm nicht gefügig ist – denunziert. Gianciotto überrascht die beiden Liebenden in flagranti und stürzt sich mit dem Schwert auf den unbewaffneten Paolo. Francesca wirft sich dazwischen und wird tödlich getroffen. Paolo hält die Sterbende in seinen Armen und fällt unter dem Schwert seines Bruders.
Für art-tv: © Kaspar Sannemann, 4.Juni 2007