Umjubelte Neuinszenierung des grossartigen Revolutionsdramas von Umberto Giordano, reich an musikalischen Kostbarkeiten! Unbedingt hingehen und sich vom lodernden Verismo-Strudel mitreissen lassen!
Opernhaus Zürich | Andrea Chénier
- Publiziert am 26. August 2007
Die grandiose Oper von Umberto Giordano ist eine zweifache Tragödie: Das grausame Schicksal des Liebespaares (Chénier/Maddalena) eingebettet in den grässlichen Fatalismus der Revolution, die ihre eigenen Kinder frisst.
Nach Hans Hollmanns überzeugender Inszenierung an diesem Haus im Jahr 1994 durfte man auf Grischa Asagaroffs Deutung gespannt sein.
Kritik: (UL/SK) Ein umjubelter Abend zur Eröffnung der Opernsaison. Nello Santis glutvolles Dirigat, das die knalligen Effekte der Partitur ebenso wirkungsvoll zur Geltung brachte wie die leiseren Zwischentöne, ein Protagonistentrio (Salvatore Licitra als Chénier, Lucio Gallo als Gérard und Micaela Carosi als Maddalena), das den Anforderungen der Partien auch bezüglich des unter dauernder Hochspannung Stehens bestens gewachsen war, machten den Abend zu einem Fest für Melomanen.
Grischa Asagaroffs Inszenierung überzeugt ebenso wie die Ausstattung Reinhard von der Thannens. Der Bühnenraum (ein in Weiss gestalteter stilisierter Pavillon) gibt immer wieder den Blick auf die Erdkugel frei, wohl als Hinweis auf die ungeheure Bedeutung der französischen Revolution auf das Weltgeschehen. Der zur kompletten Erstarrung gekommene, dekadente Adel ist uniform weiss gekleidet und geschminkt – ja geradezu zugepflastert. Nur ein leuchtend rotes Halsband deutet auf den ihm bevorstehenden Tod durch die Guillotine hin. Unaufhörlich polieren die Aristokraten in ihren Filzpantoffeln den Boden, auf dem sie dann endgültig ausrutschen werden…Menschliche Züge tragen nur die Bediensteten, aber auch das Liebespaar Chénier und Maddalena. Wie immer in Zürich sind auch die Nebenrollen sehr stark besetzt, als Beispiel soll nur der ergreifende Auftritt der blinden Madelon (Cornelia Kallisch) genannt sein, die ihren Enkel der Revolutionsarmee übergibt.
Aufführung vom 24.Oktober 2007: Der stimmgewaltige Marcello Giordani übernahm nun die Titelpartie. Leider war er hörbar indisponiert und liess sich vor dem letzten Bild entschuldigen. Immerhin konnte er mit sicherer Höhe auftrumpfen. Raffaela Angeletti war eine anrührende Maddalena, sie verfügt über ein breites dynamisches Spektrum, vom zarten Piano bis zum dramatischen Fortissimo-Ausbruch. Lucio Gallo begann relativ verhalten, steigerte sich aber im 3. Akt zu einem wahrhaft überwältigenden “Nemico della patria”.
Der Vogelkäfig-Pavillon, in welchem das Geschehen angesiedelt ist, stellt eine überzeugende und sinnfällige szenische Lösung dar. Das gleissende Neonlicht hingegen wirkt zu grell, lässt keine Stimmung und kein Mitgefühl mit den Protagonisten aufkommen.
Dirigent
Nello Santi
Inszenierung
Grischa Asagaroff
Ausstattung
Reinhard von der Thannen
Mit
Micaela Carosi/Raffaela Angeletti (Maddalena de Coigny); Salvatore Licitra/ Marcello Giordani (Andrea Chenier), Lucio Gallo (Carlo Gerard)
Judith Schmid (Bersi), Margaret Chalker (Contessa de Coigny), Cornelia Kallisch (Madelon)
Synopsis:
Die Handlung der Oper findet zwischen 1789 und 1794 statt, zur Zeit der Französischen Revolution und der Schreckensherrschaft der Jakobiner in und um Paris.
1. Akt
Der Dichter Andrea Chénier ist gegen den Adel und dessen dekadenten Lebensstil eingestellt. Durch spitze Bemerkungen der adeligen Maddalena wird er dazu gebracht, eigene Verse vorzutragen. In denen übt er harsche Kritik am Adel und dessen Lebensweise. Der Diener Gérard stört das Fest, indem er Bettler von der Strasse in den Ballsaal schleppt. Er wird aus dem Haus gejagt.
2. Akt
Andrea Chénier ist im Paris der Revolution zu einem gefeierten Mann geworden. Doch die Zeiten haben sich geändert und er wird kritisch wegen seiner Beziehungen zum Adel betrachtet und gerät unter Verdacht, nicht mehr hinter den Ideen der Revolution zu stehen. Geheime Liebesbriefe halten ihn davon ab zu fliehen. Es kommt zu einer Liebesszene, die von einem Spitzel (Un Incredibile) beobachtet wird. Der Spitzel benachrichtigt Gérard, der mittlerweile zum Sekretär der Revolution aufgestiegen ist. Zwischen Gérard und Chénier kommt es zu einem Duell, bei dem Gérard schwer verwundet zusammenbricht.
3. Akt
Gérard ist wieder genesen, hat Chénier verhaften und vor Gericht stellen lassen. Im Sitzungssaal des Revolutionstribunals taucht Maddalena auf, um ihn zu retten. Gérard erkennt sie ebenfalls und fühlt, wie seine Liebe zu ihr wieder aufflammt und stärker wird. Als Preis für Chéniers Rettung fordert er ihre Liebe und sie willigt ein. Sie hält eine ergreifende Rede über ihr Schicksal während der Revolution. Diese und ihre Bereitswilligkeit, “sich zu opfern”, lassen Gérard seine Einstellung zu Chénier ändern. Gérard tritt für ihn ein und spricht sich gegen das Todesurteil aus. Dennoch kann er nicht verhindern, dass Andrea Chénier zur Guillotine verurteilt wird. Das Volk will es so.
4. Akt
Im Gefängnis: Chénier trägt seinem Freund Roucher seine letzten Verse vor. Maddalena fasst den Entschluss, mit dem Mann, den sie liebt, zu sterben. Sie besticht den Gefängniswärter und besteigt so an Stelle einer verurteilten Delinquentin zusammen mit Chénier den Karren, der sie zum Schafott bringt. Gérard versucht, eine Begnadigung zu erwirken, doch es ist zu spät. Maddalena und Chénier sind im Tode vereint.
Musikalische Höhepunkte:
“Un dì all’azzuro spazio” (Chénier, 1. Akt)
“Come un bel dí di Maggio” (Chénier, 4. Akt)
“La mamma morta” (Maddalena, 3. Akt) bekannt als Filmmusik aus dem AIDS Drama “Philadelphia” mit Tom Hanks
“Nemico della patria” (Gérard, 3. Akt)
Für art-tv: © Kaspar Sannemann, September 2007