Ein srpritziges, zündendes Feuerwerk bietet das Opernhaus Zürich zum 250. Todestag des grossen Barockkomponisten! Diese AGRIPPINA sollte man sich nicht entgehen lassen!
Opernhaus Zürich | Agrippina
- Publiziert am 11. Mai 2009
Kritik:
Ein begeisternder Abend, voller Turbulenz, Witz, leiser und lauter Ironie! Von der präzisen, kontrastreichen Spannung der Ouvertüre bis zum erlösenden Finalgesang der Göttin Giunone spannt sich ein beinahe vierstündiger Bogen von da capo Arien und witzigen Rezitativen. Dank des aussergewöhnlich spielfreudigen, authentischen Ensembles, der sich unaufhaltsam drehenden Bühne (einem Labyrinth und Laboratorium menschlicher Schwächen), der faszinierenden Flut an Einfällen und Requisiten und dem stimmig und einfühlsam aufspielenden Orchesters LA SCINTILLA unter Marc Minkowski wirkt alles von einer Leichtigkeit, einer zum Schmunzeln anregenden Inspiration, die man so noch selten erleben durfte. Bravi, bravi, bravi!!!
Regisseur David Pountney ist bekannt als Mann der fantastischen Einfälle. Der Platz hier reicht nicht aus, sie alle aufzuzählen. Aber nur schon für die Szene im Schlafgemach der Poppea mit ihren zum Leben erwachenden und die Handlung kommentierenden Riesenkuscheltieren hätte er einen Opern-Oscar verdient. Die spritzige Choreographie von Beate Vollack, das von Pseudodesign, Putzigkeit und heidnischem Blutrausch geprägte Bühnenbild von Johan Engels und die eleganten Kostüme von Marie-Jeanne Lecca unterstützen und kommentieren auf grandiose Art das ironische Spiel.
Obwohl das Ensemble kurz vor der Premiere anscheinend vom Grippevirus befallen wurde, spürte man am Abend davon nichts mehr. Eine solche Homogenität, Spielfreude und Intelligenz in der Gestaltung haben auch verwöhnte OperngängerInnen wohl noch selten sehen und hören dürfen. Da ist nicht nur der grosse Star Vesselina Kasarova, die als Agrippina die Fäden der Intrige mit einer unerhört durchtriebenen Raffinesse in Spiel und Gesang spinnt. Ihre Gegenspielerin Poppea (Eva Liebau) steht ihr weder in Sexappeal noch in Stimmschönheit und Geläufigkeit nach. Die Konfrontation der beiden ist ein echter Genuss und Spass, erinnert beinahe an die Duelle im Denver Clan zwischen Alexis und Krystle. Geliebt wird diese Poppea gleich von drei Männern: Anna Bonitatibus ist überragend als gelangweiltes, verwöhntes Muttersöhnchen Nero, László Polgár umwerfend komisch als notgeiler Kaiser Claudius und Marijana Mijanovic gestaltet ergreifend die Lamenti des Ottone.
Ruben Drole, der Countertenor José Lemos, Gabriel Bermúdez als von Gicht geplagter Lesbos und Wiebke Lehmkuhl – mit einer wunderschön gesungenen Schlussarie – als Giunone vervollständigen das perfekte Ensemble.
Zudem ist es ein Hochgenuss, dem Orchester LA SCINTILLA unter Marc Minkowski zuzuhören; es lohnt sich sehr, den Blick ab und zu vom turbulenten Geschehen auf der Bühne in den erhöhten Orchestergraben schweifen zu lassen!
Fazit:
Mit dieser fulminanten Premiere festigt das Opernhaus Zürich seinen glanzvollen Ruf als Top Adresse für Händel-Opern!
Inhalt und Werk:
Der Kaisergattin Agrippina wird mitgeteilt, ihr ungeliebter Gatte Claudius sei ertrunken. Mit allen Mitteln versucht sie, ihre Sohn Nero auf den Kaiserthron zu hieven. Doch die Freude währt nur kurz. Claudio wurde gerettet und hat überdies seinem Retter Ottone die Thronfolge versprochen. Agrippina ist jedoch nicht gewillt, die Entscheidung des Kaisers zu akzeptieren. Sie spinnt ein Geflecht aus Intrigen, falschen Anschuldigungen und Anstiftungen zum Mord. Der Strudel der Ereignisse ist kaum mehr aufzuhalten..
Das feinsinnige Libretto des Kardinals Grimaldi inspirierte den jungen Händel zu kontrastreichen, witzigen und ironischen Arien (viele davon entnahm er allerdings – wie es damals üblich war – eigenen Werken oder derer anderer Komponisten), welche von den Interpretinnen und Interpreten neben geläufigen Kehlen auch ein grosses Mass an Spielfreude und Witz, aber auch grosses Einfühlungsvermögen abverlangen.
Für einmal werden in dieser Oper die Bösewichte nicht bestraft, irgendwie handelt jede und jeder unmoralisch und doch bekommen alle am Ende, was sie schon immer gewollt hatten. Dieses egoistische Streben nach Macht und Glück entbehrt nicht einer gewissen Ironie, es schimmert durchaus eine Gesellschaftskritik durch, die nichts an Aktualität verloren hat.
Musikalische Höhepunkte:
Unzählige, wunderschöne Arien und Lamenti, alle mit grösster Perfektion und Witz gesungen.
Für art-tv: © Kaspar Sannemann, 11. Mai 2009