Die neue Inszenierung in Sirnach nimmt sich einer Herausforderung an. Das Stück «Im Weissen Rössl» wurde bereits auf zahlreichen Bühnen gespielt und ist wegen seiner hohen Dichte an Pointen sehr beliebt. Doch liegt noch mehr in dem Stoff: Alles steht und fällt mit der Glaubwürdigkeit der Hauptfiguren Josepha und Leopold. Regisseur Giuseppe Spina gelingt es, Humor und Spannungsbogen unter einen Hut zu bringen.
Operette Sirnach | Im Weissen Rössl
Eine der erfolgreichsten und meistgespielten Operetten der Nachkriegszeit bekommt einen frischen Anstrich
Die Operette Sirnach hat sich aus den Aktivitäten des im Jahr 1860 gegründeten Männerchors entwickelt. 1925 wurde anlässlich des kantonalen Turnfestes das erste Theaterstück als Co-Produktion des Männerchors und des Orchestervereins aufgeführt. Darauf folgte die Gründung der Theatergesellschaft mit dem Ziel, „vaterländische Schauspiele“ mit gehobenem Anspruch zur Aufführung zu bringen. Aufführungsort war die 1905 erstellte Turnhalle, die in weiser Vor-aussicht bereits mit Bühne gebaut wurde. 1955 kam mit „Der fidele Bauer“ die erste Operette auf die Bühne. Der damalige Dirigent des Männerchors, Hans Baur, war die treibende Kraft für die Umstellung von Schauspiel auf Operette. Seither wurden im Dreijahresturnus 22 Operetten mit durchschnittlich 25 Vorstellungen aufgeführt.
Über das Stück
Im Hotel ‹Zum weissen Rössl› ist Hochsaison. Das Personal ist überfordert, Zahlkellner Leopold beruhigt die Gäste. Weniger Erfolg mit seinem Charme hat er bei seiner Chefin Josepha Vogel Huber, bei der er Annäherungsversuche macht. Diese jedoch weist ihn zurück: Sie ist verliebt in den Berliner Rechtsanwalt Dr. Otto Siedler. Sein Erscheinen wird auch von einem anderen Gast ungern gesehen: Die Fabrikantin Wilhelmine Giesecke, nur auf Drängen ihrer Tochter Ottilie hier im Urlaub und von Josepha nur unzureichend für die Gegend begeistert, hat gegen ihn und dessen Mandanten, seinen Erzkonkurrenten Sülzheimer, einen Prozess verloren. Töchterchen Ottilie hindert dies jedoch nicht, den Avancen Siedlers nachzugeben…
Klischees neu verpackt
Die Operette von Ralph Benatzky ist zweifelsohne eine der erfolgreichsten und meistgespielten der Nachkriegszeit. Trotz eines starken Lokalkolorits und heimatlichen Gefühlen, die durch das Setting mit Wirtshaus, Kuhstall, Bergen und See erzeugt werden, bilden die Musik und die Handlung gleichzeitig auch das damalige Weltgeschehen ab: mit Tagestouristen aus verschiedenen Ländern, Kurgästen mit Renommee und einem Auftritt des leibhaftigen Kaisers Franz Joseph I.. In diesem Spannungsfeld von Provinz und Weltoffenheit bewegen sich auch die Figuren des Stücks, erfüllt mit Verliebtheit, Hoffnungen, Träumen, Ambitionen und Versagensängsten. Die Wirtin Josepha ist raubeinig, Zahlkellner Leopold ist schusselig-sympathisch und der Dr. Siedler ein Charmeur – kurzum gesagt: so einige Figuren-Klischees werden (gekonnt) bedient. Regisseur Giuseppe Spina versetzt die Handlung zeitlich in die frühen 1960er-Jahre, eine Zeit, in der die klassischen Rollenmuster angefangen haben zu bröckeln. Es geht Spina darum, starke, selbstbewusste Frauencharaktere zu zeigen. Dafür steht seine Entscheidung, die Figur des Wilhelm Gieseckes durch eine Frau, Wilhelmine Giesecke zu ersetzen. In der aktuellen Fassung ist sie eine Fabrikantin, die das Geschäft ihres verstorbenen Ehemannes weiterführt. Für sein «Wagnis» bringt der Regisseur ein aussergewöhnlich experimentierfreudiges, aber auch szenisch affines Ensemble zusammen und schafft eine kleine Revolution in der Operettenwelt.