Von ihrem mit Schmuggelware handelnden Mann und einem Grenzjäger in die Rolle eines Spielballes gedrängt, reift in einer Frau ein teuflischer Befreiungsplan. Das jüngst wiederentdeckte raffinierte psychologische Kammerspiel des österreichischen Dramatikers Karl Schönherr (1867-1943) schlägt das heutige Publikum durch seine ungebrochene Kraft in Bann.
Die Kellerbühne St.Gallen entdeckt eine teuflische Dreiecksgeschichte von 1914 wieder
In «Der Weibsteufel» erzählt Karl Schönherr von einer Frau, die für ihre Emanzipation über Leichen geht.
«Bis jetzt bin i nur so ein leerer Teigbatzen gwesen; aber jetzt ist im Teig Hefel drin.»
(Weib, 2. Akt)
«Zuerst habt ihr mich aufgehackt bis auf den Grund; und jetz möchts ihr mich wieder zudrehn, wie einen Wasserhahn. Aber mich fangts ihr nimmer ein. Jetz habt ihr mich aufgezwirbelt; und jetz bin ich da.»
(Weib, 4. Akt)
«Mächtig Ihr Mannsteufel. Euch ist man noch über.»
(Weib, 5. Akt)
Publikumsgespräch
Im Anschluss an die Aufführung findet in Zusammenarbeit mit dem Archiv für Frauen-, Geschlechter- und Sozialgeschichte Ostschweiz ein Publikumsgespräch statt: Dessen Leiterin Judith Grosse und das Ensemble nehmen das Stück «Der Weibsteufel» aus der Perspektive der Geschlechtergeschichte unter die Lupe. Moderation: Matthias Peter.
5. März 2023 | Vorstellungsbeginn: 17 Uhr | Gespräch ab 19 Uhr
Alpenländische Archaik – Über die subtile Psychologie von Karl Schönherrs «Der Weibsteufel»
Ein kränkelnder Mann lebt mit seiner jüngeren Frau ausserhalb der Dorfgemeinschaft oben am Berg. Sie haben sich arrangiert und mit ihrer Kinderlosigkeit abgefunden. Als Hehler von Schmuggelware scheffelt der Mann neben der Landwirtschaft Geld für ein schönes Haus am Marktplatz, mit dem er die Frau befriedigen will. Es fehlt nur noch wenig dazu. Doch haben die Grenzwächter ihn ins Visier genommen und sind entschlossen, ihm das Handwerk zu legen. Einer von ihnen soll mit der attraktiven Frau karessieren und sie so gesprächig und zur Verräterin ihres Mannes machen. Der Mann, der davon Wind bekommt, beschliesst, diesen Hinterhalt schlau zu hintertreiben. Er beauftragt seine Frau, ihrerseits den Jäger zu umgarnen und ihn immer mal wieder in der Stube festzuhalten, damit er sein Geschäft unentdeckt weiterbetreiben kann. Die Frau geht widerstrebend auf das Ansinnen ein, dann erwacht in ihr das Begehren, bis sie sich emanzipiert und einen teuflischen Plan schmiedet. Sie dreht den Spiess um und macht ihre Ausbeuter zu Ausgebeuteten.
Fast hundert Jahre nach seiner Uraufführung im Jahr 1914 ist das alpenländisch-archaische Drama 2008 in der Inszenierung von Martin Kušej im Akademietheater Wien als subtiles psychologisches Kammerspiel wiederentdeckt und seither im gesamten deutschsprachigen Raum vielfach nachgespielt worden. Der in abgründigem Humor geschilderte zeitlos-existenzielle Konflikt schlägt das Publikum durch seine ungebrochene Kraft in Bann. Die Kellerbühne bringt das Stück in der Inszenierung des Hausherrn Matthias Peter mit der Schauspielerin Boglárka Horváth und den Schauspielern Adrian Furrer und Alexandre Pelichet erstmals nach St.Gallen.
Karl Schönherr – eine Wiederentdeckung
Der Autor Karl Schönherr (1867-1943) wurde als Sohn eines Dorfschullehrers in Tirol geboren, studierte Medizin und lebte ab 1891 in Wien. Nach ersten Veröffentlichungen (Gedichte und Erzählungen) gelang ihm 1897 mit dem Volksschauspiel «Der Judas von Tirol» ein Achtungserfolg und mit der Tragödie «Die Bildschnitzer» (1900) und dem Drama «Sonnwendtag» (1902) der Durchbruch. Er konnte seine ärztliche Praxis schliessen und sich ganz dem Schreiben widmen. Mit der 1907 in Zagreb uraufgeführten Komödie «Erde» begründete Schönherr seinen Ruhm auch ausserhalb des deutschen Sprachgebiets. Die in der Zeit der Gegenreformation angesiedelte Tragödie «Glaube und Heimat» (1910) entwickelte sich ebenso zu einem Kassenschlager wie das alpenländisch-archaische Drama «Der Weibsteufel» (1914).
Karl Schönherr galt zwischen 1900 und 1920 als der bedeutendste österreichische Dramatiker neben Arthur Schnitzler. Nach dem Ersten Weltkrieg ging das Interesse an seinem Werk jedoch mehr und mehr zurück. Aktuelle soziale Fragen erörternde Stücke wie die «Kindertragödie» (1919), das Schauspiel «Es» (1922) oder das Ärztedrama «Herr Doktor, haben Sie zu essen?» (1930) wurden zwar noch uraufgeführt, aber kaum mehr nachgespielt.
Anfang der 1930er Jahre hat der Verlag Staackmann, Schönherrs wichtigster Verleger, seine Werkbestände eingestampft. Dass die Nationalsozialisten eine Zeitlang versucht haben, ihn als «Heimatdichter» zu vereinnahmen, war seinem Nachruhm ebenso wenig zuträglich wie seine Mitgliedschaft in der politisch gesäuberten «Deutschen Akademie der Dichtung» und gewisse preisende Verse zum «Anschluss» Österreichs. Seine Person – er war mit einer Jüdin verheiratet – und seine Literatur waren jedoch zu integer, als dass sie sich hätten völkisch missbrauchen lassen. Auch sein letztes Drama «Die Fahne weht» (1937), das den Geist des Tiroler Freiheitshelden Andreas Hofer und dessen Kampf gegen die französische Besatzung beschwor, taugte nicht dazu. Sicherlich ist aber das überraschend moderne psychologische Kammerspiel «Der Weibsteufel» das beste Beispiel dafür.
Seine Rehabilitierung hat Karl Schönherr in erster Linie dem österreichischen Regisseur Martin Kušej (* 1961) zu verdanken. Er holte 1987 als Jungregisseur in Graz das Stück «Es» aus der Versenkung, erfand 2001 für «Glaube und Heimat» am Burgtheater Wien eine neue Ästhetik und sorgte 2008 mit seiner Inszenierung von «Der Weibsteufel» im Akademietheater Wien für ein Schönherr-Revival im gesamten deutschsprachigen Raum.
(Text: Kellerbühne St.Gallen)