Hundert Jahre nach der ersten Spielzeit findet das Welttheater Einsiedeln zum 17. Mal als Freilichttheater vor der barocken Klosterkirche statt. Halb Einsiedeln engagiert sich als Spielvolk. Auf und hinter der Bühne findet sich für jede:n eine Aufgabe und das Publikum darf zum ersten Mal auf einer überdachten Tribüne Platz nehmen. Zu sehen gibt es ein Stück, das die Sehnsucht nach dem Leben zum Klingen bringt.
Das Welttheater ist endlich zurück!
Das Welttheater von Pedro Calderón de la Barca
Der spanische Dramatiker Pedro Calderón de la Barca wurde am 17. Januar 1600 in Madrid geboren, wo er am 25. Mai 1681 auch starb. Calderóns Dramen gelten als Höhepunkt des spanischen Barocks. In ihnen wird ein christliches Weltbild propagiert, das auf das Jenseits gerichtet ist. Calderón schrieb in erster Linie für die gebildete Elite des Hofes und die mit Theatermaschinen und illusionsförderndem Prunk ausgestattete Palastbühne. Für sie verfasste er auch komplexe mythologische Festspiele und entwickelte die Comedia weiter zur opernhaften Zarzuela. Das Fronleichnamsspiel, das sogenannte Auto sacramental, führte er zu seiner ganz von der Neoscholastik geprägten poetischen Vollendung. «El gran teatro del mundo» gehört zu den Fronleichnamsspielen mit philosophisch-theologischem Hintergrund.
Lukas Bärfuss’ Neuinterpretation
Ende. Aus. Schluss! Das Theater ist abgesagt! Die Welt erschöpft, der Autor ohne Akteure, die Zukunft schon vergangen. Doch da meldet sich ein Kind. Es fordert sein Recht auf Leben. Ein alter Mann belehrt es. Die Bedingungen, die Bühne zu betreten, sind hart. Ein vorzeitiger Abgang ist ausgeschlossen. Das Kind ist ahnungslos, es will den Auftritt, will ins Licht. Trotzdem. Und notfalls allein. Die Lust am Spiel ist mächtiger als jede Angst. Und so wird das Rad in Gang gesetzt. Noch einmal, und wieder neu. In Calderóns Schauspiel «Das grosse Welttheater» in der Neuschöpfung von Lukas Bärfuss macht sich ein Mädchen auf die Suche nach ihrem Weg und ihrem Glück. Sie durchlebt Höhenflüge und Abstürze, stellt sich den existentiellen Fragen, die jede:r, jeden Tag, in jeder Generation neu beantworten muss. Was findet sie? Freud und Leid, Treue und Verrat, das Kleine und das Grosse: das Leben selbst, in seiner ganzen Widersprüchlichkeit.
Kernfragen der Stücks
Es hat sich viel verändert, seit «Das grosse Welttheater» 1655 zum ersten Mal publiziert wurde. War zu Calderóns Zeit das Schicksal durch die Geburt vorbestimmt, hat der heutige, westliche Mensch den Anspruch und die Pflicht, sein Leben selbst zu bestimmen. Eine Herausforderung und oft genug eine Überforderung. Befreit von jeder göttlichen Ordnung, muss der Mensch allein seine Richtung finden. Allzu häufig verliert er sich dabei in den eigenen Begierden, in seinen Irrtümern, findet sich im Gefängnis jener wieder, die behaupten, den Sinn des Lebens zu kennen. Oder er flüchtet sich in den Rausch, in den Materialismus, in das Vergessen, in den Zynismus. Der befreite Mensch weiss selten, was er mit seiner Freiheit anfangen soll. Trotzdem ist er gezwungen, ein Leben zu führen. Wie sieht ein gelungenes Leben aus? Was ist das Glück? «Welche Rolle ist deine Rolle?» ist diese Kernfrage, die uns von Calderóns Stück durch alle Zeiten bleibt. Die Provokation, die von ihr ausgeht, reicht tiefer, als wir wahrhaben möchten.
Eine Lebensaufgabe für Einsiedler:innen
Das Volk von Einsiedeln spielt Theater, ein ganzes Dorf, Frauen und Männer, Jung und Alt, Alteingesessene und Asylsuchende, die Schülerin und der Arzt, auch Menschen mit einer Behinderung. Familien verzichten auf ihre Ferien, um dabei sein zu können. Zum Spielvolk zu gehören, ist für viele Einsiedler:innen eine Lebensaufgabe, die sich durch die verschiedenen Spielperioden zieht. Wer vor Jahrzehnten in einem Chor mitsang, spielt heute eine Hauptrolle. Und wer hinter den Kulissen schon immer Requisiten bereitgestellt oder Kleider genäht hat, will auch dieses Mal wieder zum Gelingen beitragen. Leute, die neu nach Einsiedeln gezogen sind, behaupten, es gebe keine bessere Möglichkeit zur Integration als das Welttheater.
(Textgrundlage: Welttheater Einsiedeln)