Es wurde getanzt, gesungen, geweint und gelacht: Das pralle Leben eben. Und am Schluss kam alles ganz anders als geplant. Das Publikum überraschte eine fucked-up Lovestory und eine inszenierte Hochzeit, bei der das Publikum zur Hochzeitsgesellschaft wird. Ein anderer Theater-Abend war zu 100% improvisiert – Spielfreude ohne Netz und doppelten Boden …
Auf dem Paula Interfestival präsentierte sich die freie Szene
St. Gallen bekam diesen Sommer ein neues Festival, an zehn Tagen waren 75 lokale, nationale und internationale Stücke zu entdecken.
Auf dem Programm stehen Theater, Tanz, Performance und zeitgenössischer Zirkus: zwei Uraufführungen, Gastspiele von regionalen Darsteller:innen und Gruppen, nationale Produktionen und Inspirationen aus der internationalen Szene. Die Paula-Premiere gehört unter dem Label «(R)ostfrei» in erster Linie der freien Ostschweizer Szene. Alle Eingeladenen haben selbst entschieden, was sie zeigen. Einzige Bedingung: die Produktion wurde in St.Gallen bisher noch nicht gezeigt. Doch auch hier gilt: keine Regel ohne Ausnahme.
Auszüge aus dem Festivalprogramm
Heitere Fahne & Kollektiv Frei_Raum | «Puff! Völlig losgelöst» ist ein inklusives Theaterprojekt der Heitere Fahne und des Theaters Frei_ Raum, in dem sich das Kollektiv auf eine wilde, galaktische Reise vorbereitet: vom ersten Schritt oder dem Umgang mit Schwerelosigkeit über die Begegnung mit Ausserirdischen bis zum Hinterfragen von Held:innentum. Die körperliche und philosophische Vorbereitung auf den grossen Flug ins All wurde von einem Team aus Schauspieler:innen und Musiker:innen mit und ohne Behinderungen entwickelt. Das Stück ist in einem demokratischen Prozess entstanden. Jede:r konnte eigene Ideen einbringen und gemeinsam wurde eine Show erarbeitet, in der alle völlig losgelöst zusammenarbeiten konnten.
Rigolo Tanztheater | «Ithir» Das Stück erzählt in vier Kapiteln von der Unendlichkeit des Universums, vom Werden und Vergehen und vom ewigen Kreislauf der Natur. Zwei Tänzerinnen und ein Kontrabassist spielen, tanzen, performen ohne Scheu vor Tonerde in allen Konsistenzen, triefend nass bis hart wie Stein. Ein statisches Bühnenbild erwacht zum Leben, verschmilzt mit der Bewegung der Tänzerinnen und den archaischen Klängen der Musik und verändert sich zum grossen lehmigen Schauplatz. Ithir bringt auf eindrückliche Weise die Lebenszyklen zurück in unser Bewusstsein und die Erkenntnis: Wir Menschen sind Teil der Natur.
Isabelle la Belle | «Me Myself and I» sind drei fantasievolle Dämonen, die in der Traumwelt von Isabelle la Belle umherwandern und ihr das Leben zur Hölle machen. Wenn sie ihnen das Feld überlässt, erobert ein hübscher Cocktail über die Absurdität des Seins die Bühne und leistet ihr Gesellschaft. Dieser innere Versöhnung-Prozess dient hier als Heilmittel angesichts einer unerträglichen Einsamkeit. «Me, Myself and I» ist ein höchst unterhaltsames, clowneskes Kabarett-Theater, das den Zuschauer:innen eine subversive, poetische und groteske Auseinandersetzung mit der Selbstinszenierung aufzeigt.
Spiel: Franziska Hoby; Regie: Stéphane Fratini
Les Memoires d’Helène | «Pseudologia Phantastica» ist ein wilder Trip durch die Höhen und Tiefen einer ebenso leidenschaftlichen wie toxischen Liebesbeziehung. Das Stück wirft grundsätzliche Fragen über Partnerschaft und Familie versus Selbstverwirklichung im 21. Jahrhundert auf. Zwischen hochtrabendem Nonsens und grosser Ernsthaftigkeit bringen die beiden Schauspieler:innen ein Reenactment ihrer eigenen
Geschichte auf die Bühne. Mit Beweisfotos und Videos, einer ständigen Gratwanderung zwischen Fiktion und Realität, Humor und Drama und einer Dramaturgie, die zwischen Genauigkeit und wilder Spielfreude pendelt. «Pseudologia Phantastica» ist eine Liebeserklärung an den geteilten Moment mit dem Publikum, an die Kraft des Theaters und das uralte Ritual des Geschichtenerzählens!
Spiel: Martina Momo Kunz, Benjamin Spinnler, Victor Hege; Musik: Victor Hege; Oeli extérieur: Michael Finger; Ausstattung: Zainap Lascandri; Sounddesign: Jonas Häni; Lichtdesign: Viktoras Zemeckas
Velvet Blackout | Von der Rolle | Die Künstlerin Andrea Vogel hat für ihren Auftritt am Paula eigens eine Theatercompagnie gegründet: Velvet Blackout. Sie führt ihr erstes Stück auf. Dabei geht Vogel von keiner Rolle aus, jedenfalls nicht der einer Theaterrolle. Mittels Beschäftigung mit Material aus dem Alltag und ihrem Körpereinsatz wird der Begriff Rolle spielerisch erforscht und weiter-entwickelt. Durch die Aneinanderreihung von performativen Sequenzen entstehen dem Tableau Vivant angelehnte Szenen.
Von und mit Andrea Vogel