20x2 Tickets | Dokumentarfilm | Davos
- Publiziert am 23. April 2021
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Seit 50 Jahren wird Davos anlässlich des Weltwirtschaftsforums für drei Tage im Januar zum Zentrum der Macht.
Diese drei Tage genügen, dass Davos weltweit zum Synonym für Macht und Geld wurde. Angezogen von der Aura, die das WEF umgibt, haben sich die Filmemacher Daniel Hoesl und Julia Niemann für ein ganzes Jahr in der Kurstadt eingemietet und diese beobachtet. Ihr Film portraitiert die Bewohner*innen einer alpinen Kleinstadt, die schon vor 100 Jahren zum noblen Treffpunkt für jene wurde, die nach Heilung für ihre Atemwege suchten und heute von Gier und Globalisierung gezeichnet ist.
Davos | Regie: Daniel Hoesl und Julia Niemann | Dokumentation | Österreich | 99 Minuten | Verleih Spot-On Distribution | Kinostart Deutschschweiz: 6. Mai 2021
Zum Interview mit Daniel Hoesl und Julia Niemann
MEHRInterview mit Daniel Hoesl und Julia Niemann.
Das Geld, dessen Anhäufung und der Kapitalismus, der die Funktionsweise unserer Gesellschaften bestimmt, beschäftigt Sie, Daniel Hoesl, seit Ihrem Film «Soldate Jeannette». Was hat Sie für Ihren dritten Langfilm bewogen, dokumentarisch zu arbeiten?
Daniel Hoesl: Was mich nach Davos gebracht hat, war nicht sein Ruf als Skiort, sondern der Umstand, dass es der Austragungsort des Weltwirtschaftsforums ist. Im Zuge meines ersten Besuchs bei diesem Jahrestreffen der Polit- und Wirtschaftseliten habe ich viele Menschen kennengelernt und bin in einer Stadt gelandet, die dem Bild, das ich von ihr im Kopf hatte, nicht entsprochen hat. Das hat diesen Ort für mich interessant gemacht.
Wie sah Ihr vorgefertigtes Bild von Davos aus?
Daniel Hoesl: Ich kannte nur Schweizer Skiorte im Wallis, die einen gewissen Glamour ausstrahlen, den ich anfänglich auch mit Davos in Verbindung gebracht hatte. Davos hat aber andere Qualitäten. Der Ort ist eine paradigmatische schweizerische Kleinstadt, mit wenig Glamour und einer Bewohnerstruktur, die vom kleinen Mann bis zur Milliardärin reicht.
Julia Niemann: Im Sinne von «Follow the Money˚ wollten wir dorthin fahren, wo sich das Geld so umschlägt und schauen, was sich dabei ergibt. In Davos zeigt sich auf so unglaubliche Weise, was Globalisierung bedeutet, nämlich, das Nebeneinander von Superreichen und Superarmen auf engstem Raum. Es wurde uns bewusst, dass man so eine Konstellation für einen Spielfilm nur schwer erfinden kann und dass wir, wenn es diese Geschichte nun schon gibt, wir sie am besten dokumentarisch aufzeichnen. Da sich darüber hinaus das Weltwirtschaftsforums seinem 50-jährigen Jubiläum näherte, hielten wir das Timing für besonders günstig.
Der Film hat einen sehr simplen Titel «Davos». Ging es Ihnen einerseits darum diesen Projektionsraum der Reichen und Mächtigen auszuloten? Die Substanz hinter dem Phantasma eines Grossereignisses rund um Macht und Geld aufzuspüren? Andererseits auch um das Spannungsfeld zwischen diesen beiden Identitäten der Stadt?
Julia Niemann: Es ging uns darum, dem Phantasma das sich rund um das Weltwirtschaftsforum auftut, die Realität gegenüber zu stellen. Im angloamerikanischen Raum wird «Davos» quasi synonym für das Weltwirtschaftsforum verwendet und nicht als Ortsname. Mit dieser doppelten Bedeutung wollten wir spielen. Wir hatten ja selbst erwartet, dass Davos ein Ort sei, wo sich alles um das WEF dreht und haben dann im Laufe eines Jahres entdecken können, was da alles stattfindet und wie sich aufgrund der Tatsache, dass Davos Gastgeber des Weltwirtschaftsforums ist, sich interessante Kontraste ergeben.
Daniel Hoesl: Mein Interesse hat sich immer weiter vom WEF wegbewegt und die Leute, die in Davos leben in den Vordergrund gerückt.
An wie vielen WEFs haben Sie teilgenommen? Wie sind Sie an Ihre Davoser Protagonist*innen herangekommen?
Julia Niemann: Die Grundidee war, dort einen Jahreszyklus mitzuvollziehen. Wir haben eine Wohnung gemietet und zwischen dem WEF 2018 und dem WEF 2019 ein ganzes Jahr dort verbracht. Genau genommen sind wir etwas länger geblieben, weil wir bei einigen Dingen das Gefühl hatten, dass das letzte Wort nach exakt einem Jahr noch nicht gesprochen war. Davos ist kein grosser Ort, die Protagonisten sind uns gleichsam zugeflogen. Wir waren als Recherche- und Filmteam, das bewusst das Gespräch gesucht hat, wahrnehmbar, dennoch sind unsere Kontakte auch organisch gewachsen.
Daniel Hoesl: Ich vermisse die Leute dort sehr. Ich habe eine grosse Sehnsucht und eine Liebe für diese Stadt entwickelt.
Ob das WEF überhaupt durchgeführt werden soll, wird in regelmässigen Abständen einer Volksabstimmung unterzogen. Gibt es Stimmen in der Bevölkerung, die das Grossereignis in Frage stellen?
Julia Niemann: In Wahrheit muss man sagen, dass die Davoser*innen immer Ja stimmen, weil sie wirtschaftlich enorm davon profitieren. Es gibt eine Promenade im Ort, wo sich das Geschäftsleben abspielt. Diese Geschäfte werden komplett geräumt und anlässlich des WEF einen Monat an das Russian House, an Google oder Facebook vermietet. Davon können die Geschäftsleute mitunter ein ganzes Jahr leben. Es gibt vereinzelt kritische Stimmen, aber der finanzielle Vorteil, den das WEF bringt, ist so gross, dass die Leute dafür stimmen, auch wenn es Nachteile für das Leben dort bringt.
Daniel Hoesl: Das kurzzeitige Vermieten ist zu Preisen möglich, die es den Besitzern erlauben, die Lokale für den Rest des Jahres leerstehen zu lassen. Das führt dazu, dass dem gesellschaftlichen Leben in der Stadt eine Stütze genommen wird. Es findet kaum Leben auf dieser zentralen Promenade statt. Da wo einst Thomas Mann promenierte und wo so viel Kunst passierte, gibt es heute Leerstand. Die Auswirkungen der Globalisierung sind sehr gut spürbar, weil das gesellschaftliche Leben verdrängt wird, die Bauern ebenso. Sie können mit ihrer Milchwirtschaft keinen Milchpreis mehr erzielen, der ihre Existenz sichern könnte. Solche Zusammenhänge werden da auf kleinstem Raum sichtbar.
Julia Niemann: Es gibt auf politischer Ebene schon auch kritische Stimmen, eher von jungen Leuten, u.a. auch den Punks, mit denen wir gefilmt haben. Sie haben aus ihrer politischen Überzeugung heraus ein Problem damit, dass das WEF grundsätzlich stattfindet. Aber auch unter ihnen finden sich manche, die im einen Jahr gegen das WEF demonstrieren und im Jahr darauf für die Security arbeiten, d.h. im weiteren Sinn im Kontext des WEFs ihr Geld verdienen.
Daniel Hoesl: Gerade das macht es so nachvollziehbar, warum es so interessant war, diesen Film in Davos zu machen. Dieser Ort bringt das Dilemma so besonders gut auf den Punkt. Wie verhält man sich im Kontext der Globalisierung und des einfachen Lebens?
Der Einstieg in den Film erfolgt über drei Sequenzen, die internationale Korrespondent*innen bei der Arbeit während des WEF zeigt. Man sieht später ein TV Interview mit dem Gründer und Leiter des WEFs Klaus Schwab. Wie sehr ging es Ihnen auch darum, zu zeigen, wie sehr das WEF auch oder vor allem ein mediales Ereignis, ein Hype ist
Daniel Hoesl: Das WEF ist ein riesiges Medienevent. Wenn man sich vorstellt, dass es nur drei Tage dauert und dabei so eine immense mediale Präsenz weltweit erreicht. Es ist ja auf bizarre Weise sehr beeindruckend, wie sie es hinkriegen, dass das ohnehin Erwartbare immer wieder auf so grosses Interesse stösst. Wenn man sich während des WEFs auf der Promenade bewegt, dann kann es sein, dass einem möglicherweise die Königin der Niederlande, der Emir von Bahrein, Angelika Merkel, James Cameron oder Bill Gates über den Weg laufen. Wenn wir von den Medien sprechen, möchte ich aber auch von der Davoser Zeitung reden, wo ein weiterer Kontrast spürbar wird.Ich habe die Davoser Zeitung jede Woche gelesen. Sie ist vielleicht in Wien mit der Bezirkszeitung vergleichbar: Todesanzeigen, Chronik, Inbetriebnahme eines neuen Schilifts, Hoteleröffnung, Sondermüllabholung. Die Redakteure dort halten die Stadt am Leben. Auf dieses Paradoxon hinzudeuten, ist mir viel wichtiger als diese Chimäre vom WEF zu thematisieren. Das WEF hat uns sehr unterstützt. Es war nicht selbstverständlich, dass wir da reindurften. Man ist uns mit einer Offenheit begegnet, die alle bis heute überrascht. Ich wollte es nur ein wenig entzaubern. Das WEF ist eine Art Gartenbaumesse des internationalen Wirtschaftslebens. Jeder hat einen Stand, jeder muss sich marktschreierisch behaupten und es macht die Welt unheimlich klein.
Wie sehr kommt man auf eine inhaltliche Ebene. Man hört von 400 Arbeitsgruppen, gibt es etwas wie ein Arbeitsthema? Oder ist es eher das Treffen einer Blase, die sich darin bestärkt, wie es ein Redner auf den Punkt bringt, „dass der Handel frei bleiben muss und als fair wahrgenommen werden soll“?
Daniel Hoesl: Es gibt schon eine Agenda, sonst hiesse es nicht Weltwirtschaftsforum. Es werden hehre Ziele verfolgt, manches gelingt ihnen besser, manches schlechter.
Julia Niemann: Was am WEF schon sehr spannend ist, ist, dass die Spitzen sämtlicher Disziplinen zusammenkommen und diskutieren. Ob es dabei je ums Eingemachte geht, bleibt eine andere Frage. Es gab beim letzten WEF eine Diskussion zum Thema The Cost of Inequality, u.a. mit dem Philosophen Rutger Bregman, der irgendwann meinte, er fühle sich wie auf einer Feuerwehr-Tagung, bei der niemand über Wasser reden dürfe. Das zeigte für mich ganz gut, dass es vielleicht doch eher diplomatisch zugeht und um den heissen Brei herumgeredet wird.
Wenn ich an Szenen denke wie jene mit der Geburt des Kalbes, mit den Jugendlichen Geflüchteten, die gemeinsam rappen oder mit den Erläuterungen im Kirchner Museum, so entsteht der Eindruck, dass Sie Ihren Bildern sehr viel Zeit gegeben haben. Was war Ihr Zugang zur Zeit und zum Rhythmus im filmischen Erzählen bei diesem Projekt?
Daniel Hoesl: Wir hatten einen Schweizer Kameramann, der die Ruhe selbst ist und wir hatten vierzehn Monate in Davos. Dazu noch den Luxus, dass wir dank eines selbstlosen Teams sehr viele Drehtage absolvieren konnten. Als Filmteam bringt man allein durch seine Präsenz schon etwas ins Rollen. Je öfter man kommt, umso unwichtiger wird man und umso eher kommt die Realität zutage. Der Rhythmus des Alltags war es, was wir gesucht haben.
Julia Niemann: Wir haben uns nie etwas gewünscht, uns aber sehr viel Zeit genommen, als Team die Bauernfamilie besucht und haben mit ihnen gegessen. Wir haben mit unseren Protagonist*innen viel Zeit ohne Kamera verbracht und auch wenn die Kamera dabei war, zunächst einmal abgewartet, was passiert. Wir haben in diesem Film auf Zeit gespielt und das sieht man wahrscheinlich auch.
Wie gross kann man sich das Team für so ein langfristiges Projekt vorstellen?
Julia Niemann: Für gewöhnlich waren wir zu viert: Daniel und ich, unser Kameramann Andi Widmer und für den Ton waren entweder Eva Hausberger oder Andreas Pils verantwortlich. Manchmal hatten wir eine Person als Assistenz dabei.
Daniel Hoesl: Es ist ja dort mitunter sehr steil.
Wie hat sich dieses Zeitkonzept in den Schnitt übertragen?
Julia Niemann: Wir haben uns für den Schnitt sehr viel Zeit gelassen und mit Unterbrechungen ein Jahr lang dafür verwendet.
Habt ihr somit einmal mehr nicht zuletzt aufgrund der Rahmenbedingungen ein neue, unkonventionelle Zugangsweise entwickelt und mit wenig Budget und dem Luxus Zeit eine besondere Qualität erreicht?
Julia Niemann: Man muss unser Projekt n Referenz zu unserem letzten Film setzen. Die Arbeit an «WinWin» war sehr anstrengend und fordernd. Mit dem zur Verfügung stehenden Budget hat es uns alles abverlangt. Für «Davos» haben wir uns vorgenommen, mehr zu leben als zu arbeiten, im Sinne von dort an diesem Ort zu leben, viel mitzufilmen und beides zu vereinen. Wir können uns schon vorstellen, nochmals dokumentarisch zu arbeiten und nochmals einen Ort unter die Lupe zu nehmen. Es war schlicht wohltuend, sozusagen ein Jahr im Film zu leben, noch dazu in den Schweizer Bergen. Und es war ein ganz anderes, viel tieferes, ruhigeres, kontemplativeres Arbeiten als das rasende Arbeiten an einem Spielfilm. Diese beiden Formen immer wieder abzuwechseln ist eigentlich sehr gut vorstellbar. Bei «WinWin» standen das Leben und die Arbeit in einem harten Widerspruch zueinander, wir hatten schlicht kein Leben für ein paar Jahre. Dieser Film hat uns in ein Burnout getrieben. Ich will dieses Burnout durchaus wieder spüren. Ich will aber nicht eines nach dem anderen. Dazwischen braucht man auch ein Jahr in Davos oder wo auch immer. Für unseren neusten Film haben wir versucht, das in Einklang zu bringen und es hat funktioniert. Es hat sich so angefühlt, als hätten wir einen Lebensabschnitt in und mit Davos verbracht und der Film ist das Ergebnis. Es war eine sehr schöne Arbeit und eine sehr schöne Zeit.
Daniel Hoesl: Es ist fast eine Liebesgeschichte.
Interview: Karin Schiefer