Iris von Rotens umfassende und akribisch recherchierte Streitschrift «Frauen im Laufgitter. Offene Worte zur Stellung der Frau» (1958) gilt bis heute als Standardwerk des Schweizer Feminismus. Zur weitsichtigen, pointierten, kritischen und innovativen Analyse der Autorin konzipiert die renommierte Theaterformation MASS & FIEBER erstmals überhaupt eine Ausstellung zudem wartet der Strauhof mit einer Sensation auf.
Strauhof Zürich | Iris von Roten – Frauen im Laufgitter
- Publiziert am 5. Februar 2021
Die Theaterformation MASS & FIEBER inszeniert Iris von Roten in ihrer ganzen Dringlichkeit und Aktualität.
«Die pure Lebenslust machte mich feministisch. Alles, was das Herz begehrte: wilde Abenteuer, lockende Fernen, tolle Kraftproben, Unabhängigkeit, Freiheit – das schäumende Leben schlechthin – schien in Tat, Wort und Schrift den Männern vorbehalten zu sein.»
Iris von Roten
Im Zuge der Ausstellungsrecherche ist ein nicht publiziertes und in Vergessenheit geratenes Kapitel von «Frauen im Laufgitter» aufgetaucht – das Kapitel «Kleidung» wird im Strauhof erstmals der Öffentlichkeit gezeigt und stellt eine veritable Sensation dar. Zehn Jahre arbeitet Iris von Roten (1917–1990) an ihrem «ungeheuren» Buch: Sie fordert darin politische und berufliche Gleichberechtigung, sexuelle Freiheit und prangert vehement das Stillhalteabkommen zwischen den Geschlechtern an. Als ihr Lebenswerk im Herbst 1958 erscheint, spricht die ganze Schweiz darüber. Sie erhält auch Zuspruch, doch Unverständnis, Empörung und persönliche Anfeindungen überwiegen bei Weitem. Selbst die Frauenorganisationen distanzieren sich, der Verlag lässt die Streitschrift fallen, und Iris von Roten zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück. Das Buch gerät in Vergessenheit und wird erst nach ihrem Tod wieder aufgelegt – und als Standardwerk des Schweizer Feminismus neu entdeckt.
Iris von Roten
Iris von Roten (geb. Meyer, 1917 – 1990) promoviert als eine von wenigen Frauen ihrer Zeit als Juristin und lernt während des Studiums Peter von Roten kennen, einen Walliser Aristokraten und späteren Politiker. Die beiden leben eine Amour fou zwischen Basel, Raron und zeitweise New York. Sie heiraten 1946 – und haben (mit Kenntnis des anderen) auch aussereheliche Affären; von der Hausarbeit lässt sie sich per Ehevertrag entbinden. Das Paar hat eine Tochter, Hortensia, und gemeinsam führen sie eine Anwaltskanzlei. Die negativen Erfahrungen während ihrer Arbeit – von Roten wird ständig für die Sekretärin gehalten – verstärkt ihre feministische Haltung. Zehn Jahre arbeitet sie an einer umfassenden Analyse der herrschenden Verhältnisse, die 1958 erscheint. «Frauen im Laufgitter» ist eine Kampfansage, eine Provokation und eines der meistdiskutierten Bücher der Schweiz. War das Land bereit für diese «Offenen Worte zur Stellung der Frau»? Für den Ruf nach freier Liebe, geteilter Hausarbeit und vor allem: für die Gleichberechtigung im Berufsleben? War sie bereit für all diese Fragen an eine Demokratie, die ihren Bürgerinnen die politischen Rechte verweigerte?
Freitod
1959 findet die erste Volksabstimmung über das Frauenstimm- und Wahlrecht in der Schweiz statt. Die grosse Mehrheit der stimmberechtigten Männer verweigert den Frauen ihre politischen Rechte. Von Roten wird vom Bund Schweizerischer Frauenvereine (BSF) beschuldigt, die Abstimmung mit ihrem radikalen Buch negativ beeinflusst zu haben: Der BSF hat seine Strategie zur Erlangung des Frauenstimmrechts jahrelang auf Kompromisse – und nicht auf Konfrontation – mit der Männerwelt gelegt. Nach der harschen Kritik an «Frauen im Laufgitter» und an ihrer Person zieht sich von Roten aus der öffentlichen Debatte zurück und verlegt sich auf Reisereportagen und die Malerei. Immer mehr wird von Roten von Gesundheitsproblemen geplagt. Als sie nicht mehr malen kann, beschliesst sie, sich das Leben zu nehmen: «Wie ein Gast wissen muss, wann es Zeit ist zu gehen, so sollte man sich auch rechtzeitig vom Tisch des Lebens erheben.» Seit dem Tod Iris von Rotens und der Neuauflage von 1991 ist Frauen im Laufgitter zunehmend in den Blick nächster Generationen gerückt. Und es zeigt sich: Seine Polemik zündet weiterhin, seine Bestandsaufnahmen sorgen noch immer für Erstaunen und Empörung. Über die Schweiz von damals. Und nicht selten auch über die Schweiz von heute.
MASS & FIEBER
Die Ausstellung der Theaterformation MASS & FIEBER inszeniert das Werk von Iris von Roten in seiner ganzen Dringlichkeit und Aktualität. Die Erfahrung der Theaterleute, komplexe Gegenwartsthemen lustvoll zu inszenieren, ermöglicht einem breiten Publikum einen neuen Zugang zu den Inhalten von «Frauen im Laufgitter». Mass & Fieber hat sich seit 1999 mit Theaterprojekten einen Namen gemacht, die Spiellust und Witz mit Gegenwartsthemen verbindet. Von Gewaltfragen im Westernstück «Präriepriester» (2000), über das Rote Kreuz und die Schweizer Neutralität in «Red Cross Over» (Expo02) bis zum Bürgerkrieg in «Die schwarze Kammer» (2008). 2012 entstand in Zusammenarbeit mit einem iranischen Theaterkollektiv «Tell/Zahhak» für das Jubiläum ‚500 Jahre Tellspiele in Altdorf‘, die auch in Zürich und Teheran gezeigt wurde. Eine Besonderheit der Gruppe sind Inszenierungen für ungewöhnliche Räume – «Tierpark» etwa für das Paul Klee Museum Bern (2008), eine vierstündige neo-koloniale Performance auf einer Wiese mit Elefant, oder das Parcours-Theater «Sturm in Patumbah» (2015) in der Zürcher Villa Patumbah, das der Schweizer Beteiligung am Sklavenhandel nachging. Die jüngste Arbeit, «Die Mondmaschine», fragt ausgehend von den feministischen Naturwissenschaftlerinnen Donna Haraway und Lynn Margulis nach Künstlicher Intelligenz, dem Stellenwert der Bakterien und dem Wissensdrang, der 1969 die ersten Menschen auf den Mond brachte.