Das Videoessay von Beat Matzenauer ist dem Erzählband «Hotel der Zuversicht» von Michael Fehr gewidmet. Nico Bleutge lobt im Deutschlandfunk die «wahrnehmungssatte» Sprache Fehrs, der in seinen Erzählungen Menschen fliegen und Kristallklötze umherspazieren lässt. Dabei reflektiert der Schweizer Autor zugleich kritisch unsere Gegenwart.
Michael Fehr - «Hotel der Zuversicht»
Geschichten voll wunderlichem Eigensinn, die sich in die Tradition von Daniil Charms oder Robert Walser einreihen.
Hotel der Zuversicht | Stimmen zu Buch und Autor
«Phantastische Ideen, die ganz selbstverständlich klingen: Michael Fehr lässt in seinen Erzählungen Menschen fliegen und Kristallklötze umherspazieren. Dabei reflektiert er zugleich kritisch unsere Gegenwart» – Nico Bleutge, Deutschlandfunk | «Den Berner Schriftsteller Michael Fehr kann man hören oder lesen. Seine Geschichten sind skurril, surrealistisch und slapstickhaft. Und machen den Autor zu einer unverwechselbaren Stimme der deutschsprachigen Literatur.» – Republik «Fehrs Geschichten verhandeln Momente des Menschseins, die wir alle kennen: Zwischenmenschliche Beziehungen oder unseren Umgang mit ungewohnten Situationen. Die Fantastik wirkt dabei wie ein Scheinwerfer, der das, was wir sonst für «normal» halten, in anderem Licht erscheinen lässt.» – SRF Die besten Bücher | «Wo ein Mikrofon ist, macht Michael Fehr Kunst, die seinesgleichen sucht.» – Tagesanzeiger | «Es stimmt, dass die Leser:in nach den Geschichten manchmal ohnmächtig zurückbleibt, wenn es kein Happy End und
keine Auflösung gibt. Aber die Zuversicht, das Hoffen, dass es irgendwann schon wieder besser wird, das bleibt immer.» – Fabrikzeitung
Hotel der Zuversicht | Synopsis
Ein einfacher Mann geht die Strasse entlang, kommt an einem Hotel vorbei und wird vom Pagen auf einem verworren gemusterten Teppich in ein ausserordentliches Zimmer geflogen: Willkommen im “Hotel der Zuversicht”! Hier treten sie alle auf, die Geschäftsmänner und Wissenschaftler, die Erfinderinnen, Privatdetektive und Spioninnen, der Modeschöpfer und die Gräfin, Schulkinder, Tanten und Verlobte, Hunde und Katzen, die Gutsherren, Räuber und Polizisten, der Seiltänzer, die Sängerin und die Rezeptionistin. Mit kräftigen und bildhaften Strichen skizziert Michael Fehr seine Figuren und Szenen und lädt die Leser:innen in eine Welt ein, in der andere Regeln gelten. Ob als traumhafte und magische Geschehnisse oder in beziehungsreichen Konflikten – immer beleuchten die 48 Erzählungen existenzielle Zustände des Menschseins.
Hotel der Zuversicht | Besprechung
«Träume von Menschen» von Beat Mazenauer
Ein einfacher Mann wird auf der Strasse angesprochen – damit könnte auch eine Geschichte von Daniil Charms oder Robert Walser beginnen. Michael Fehrs Erzählungen erinnern an die beiden Grossmeister der Befremdlichkeit. 48 Mal entwirft er in „Hotel der Zuversicht“ dramatische Situationen, in denen sich existentielle Erfahrungen in unverstellter Direktheit spiegeln. Mal wirken seine Geschichten märchenhaft schlicht, mal traumpoetisch verworren, mal überstürzen sich die Ereignisse brutal, mal gehen sie gemütlich aus, doch jede der Geschichten erzeugt ein kleines Rätsel – das weder Auflösung noch Rettung bereit hält.
«Ich habe eine Zerstörungswut, das können Sie sich gar nicht vorstellen.»
«Voyelles» nannte Arthur Rimbaud sein Gedicht, in dem er den Vokalen je eine Farbe zuteilte: «A schwarz, E weiss, I rot, U grün, O blau». Farben spielen auch bei Michael Fehr eine zentrale Rolle. Alle Figuren und alle Dinge sind farblich konnotiert, kategorisiert, in eine typologische Ordnung gebracht. «Was ist der letzte Sommertag dieses Jahres» heisst eine der Geschichten. Das Wetter ist tiefblau, alles grünt im Garten, der Honig ist selbstverständlich goldig, ebenso das Brot und der Milchkaffee. In diesem Idyll des Wohlergehens ist es aber nur ein kleiner Schritt, bis einer der Gäste am Tisch einen köstlichen Apfel von der Wiese klaubt und dann ein fettes Büschel Gras – bis sie alle mit dem Kopf durch die Wiese pflügen und «Gras und Erde und Steinlein» fressen. Das Idyll mündet in die Verwilderung und geht am Ende nicht gut aus. Die Faszination für Farben treibt hier üppig flirrende Blüten. Handkehrrum kommt Michael Fehr ganz ohne Psychologie und Metaphern aus. Seine Geschichten erzählen genau das, was da steht – so seltsam es auch anmuten mag. Michael Fehr ist ein Meister darin, irritierende Verwandlungen von gleichzeitig betörender Einfachheit zu schaffen mit einer Sprache, die naiv anmutet, die Abgründe aber nicht mehr zuzudecken vermag. In seinen Geschichten waltet eine märchenhafte Traumlogik. Die Menschen begegnen sich ehrlich und direkt, wie der Bärtige vom Berge, der in sich «eine Zerstörungswut (spürt), das können sie sich gar nicht vorstellen». All das klingt wunderbar einfach und zugleich beängstigend, weil jederzeit der ganze Schrecken hervorbrechen und die verwildernde Gartengesellschaft wie im Märchen vom couragierten Jäger erschossen werden kann. In der traumrealistischen Konstellation steckt, was wir nur zu gerne psychologisch ausdeuten und abwiegeln möchten. Ich schliesse die Augen, du siehst mich nicht – liesse sich eine kindliche Logik auf diese so bezaubernden wie im eigentlichen Wortsinn eigenartigen Texte anwenden. In ihnen verbinden sich Stille und Kraft, wie es einem Erben von Charms und Walser gebührt.