Die Schweizer Schriftstellerin wurde 1940 in Zürich geboren. Sie schreibt hauptsächlich auf Italienisch. Nachdem sie ihre Schulzeit in verschiedenen Schweizer Internaten verbracht hatte, liess sie sich in Rom nieder, wo sie mit Ingeborg Bachmann befreundet war. Seit 1968 lebt Jaeggy in Mailand und arbeitet mit dem Verlag Adelphi zusammen.
Ehrung für Fleur Jaeggy
- Publiziert am 14. Februar 2025
Auszeichnungen des BAK
Das BAK vergibt jedes Jahr die Schweizer Literaturpreise. Der Schweizer Grand Prix Literatur zeichnet das Gesamtwerk einer Autorin oder eines Autors aus. Der Spezialpreis Vermittlung wird im Wechsel mit dem Spezialpreis Übersetzung alle zwei Jahre vergeben. Zusätzlich zu diesen mit je 40 000 Franken dotierten Auszeichnungen werden jährlich mit 25 000 Franken dotierte Preise für im vergangenen Jahr erschienene Einzelwerke ausgeschrieben. Der Spezialpreis Vermittlung geht in diesem Jahr an den Verein Sofalesungen / Lectures Canap / Letture sul sofà. Sieben Werke, die im vergangenen Literaturjahr erschienen sind, werden mit einem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet.
Vom Leben geprägt
Fleur Jaeggys Werke befassen sich mit tiefgründigen, schmerzhaften und beunruhigenden Themen: Einsamkeit, Freundschaft bis zur Obsession, Entfremdung, emotionale Distanz sowie gestörte, empathielose Familienverhältnisse und der Tod. Im Zentrum ihres Erzählens steht die Vereinsamung. Die Figuren leben oft in geschlossenen und unterdrückenden Umgebungen, etwa in Internaten oder Instituten. Sie sind von der Aussenwelt getrennt und der Gegensatz zwischen «innerhalb» und «ausserhalb» führt zu tiefer Introspektion und zu fast vollständiger Entfremdung. Zwiespältige Freundschaften und Beziehungen sind für Fleur Jaeggy wichtige Themen, um ihre Welten entstehen zu lassen. Oft sind die zwischenmenschlichen Verhältnisse vereinnahmend und sie werden in einer Mehrdeutigkeit beschrieben, die es schwierig macht, die Grenzen zwischen Freundschaft, Liebe, Besessenheit und Abweisung zu erkennen. Auch Familien funktionieren nicht und es fehlt an Mitgefühl und Wärme. Die Protagonist:innen leben in kalten, distanzierten Situationen, in denen die Kommunikation scheitert, und die sie mit einem Gefühl des Verlassenseins und der Unvollständigkeit zurücklassen. Die Familie erscheint so als ein Gebilde aus aufgezwungenen Bindungen, die zu Frustration und distanziertem Erstarren führen. Kindheit und Jugend sind keine idyllischen Lebensphasen, sondern gezeichnet von der Einsamkeit, der Beunruhigung und der Erkenntnis der inneren Finsternis. In den Schulen und Instituten, wo Fleur Jaeggys jüngere Figuren leben, verstärken sich die Emotionen und Erlebnisse und lassen die Ambivalenz der jugendlichen Erfahrungen in Erscheinung treten. Krankheit, Tod und Zerfall sind ständig präsent, nicht nur physisch, sondern auch als Symbole. Der Tod wird als unausweichliche Bestimmung beschrieben, als das Ende, das dem Leben eine Bedeutung gibt und es gleichzeitig entleert.
Die seligen Jahre der Züchtigung
I beati anni del castigo (Die seligen Jahre der Züchtigung) von 1989 ist der bekannteste Roman von Fleur Jaeggy. In der langen Erzählung sind bereits ihr ganzes literarisches Universum und die Umrisse der kommenden Texte zu erkennen: das Leben in der Abgeschiedenheit eines Schweizer Internats, das Fehlen stabiler Bezugspunkte in der Familie und die Freundschaft zur Kollegin Frédérique, die an besessene Liebe grenzt. Die strenge Erziehung und die Disziplin des Internats fordern von den Mädchen eine strikte Kontrolle ihrer Gefühle und Emotionen. Diese Unterdrückung lässt die wenigen Akte des Rebellierens und der Freiheit zu Erlebnissen von grosser Kraft und Intensität werden.
Präzise, nie sentimental
Fleur Jaeggys Werke sind geprägt durch einen dichten und scharfen Stil. Ihr Schreiben zeichnet sich durch Knappheit und fast schon chirurgische Präzision der ausgewählten Worte aus. Die Sätze sind kurz und beschränken sich auf das Wesentliche. Hinter der distanzierten und kühlen Sprache verbirgt sich jedoch eine ständige emotionale Spannung, die uns beim Lesen tief beunruhigt. Mit diesem Schreiben, das keinen Raum für Trost lässt, gelingt es Fleur Jaeggy, Emotionen und psychische Leiden stets kontrolliert und unbeirrt auszudrücken, als ob beim Erzählen eine Distanz zwischen dem Erlebten und dem Erzählten gewahrt werden sollte. Die Texte gehen tief und sind nie sentimental. Trotz ihrer scheinbaren Kälte vermag Fleur Jaeggys Prosa die Leser:innen durch die gekonnte Wiedergabe der feinsten Nuancen und der düstersten, verborgensten Seiten der menschlichen Seele zu bewegen.
(Textgrundlage: BAK)