Felix Tissi ist schon immer seinen eigenen Filmweg gegangen. Sein neuer Spielfilm markiert zugleich einen Abschied vom Filmschaffen – und der ist witzig, skurril und verschmitzt. Er sucht den Sinn im Unsinn und erschafft eine verkehrte Welt. In «Aller Tage Abend» befasst sich der Berner, der zeitweise in Spanien lebt, mit dem Alter und schlägt dem Tod ein Schnippchen.
Aller Tage Abend
Aller Tage Abend | Synopsis
Eine skurrile Mär über das Alter. Sie sucht den Sinn im Unsinn und findet eine verkehrte Welt: Irma und Henri leben den grossen Traum der ewigen Liebe. Aber bereits die kleinste Veränderung kann böse enden. Leopold und Alex lernen einander bei einem Autounfall kennen. Wie es zu diesem Unfall gekommen ist, weiss Alex allerdings nicht. Nach einem Leben in Haft findet sich ein Knastbruder in der Freiheit nicht mehr zurecht. Dafür gewinnt er das Herz einer schönen Blumenfrau. Vor lauter Mitgefühl bricht der betagte Arzt Johann beim Anblick von Krankheit und Leid in Tränen aus. Nicht selten hilft das seinen Patienten. Nur einem passt das gar nicht: dem Tod.
Kritik
Von Rolf Breiner
Zwei ältere Männer krachen mit ihren Autos ineinander – irgendwo auf dem Land. Kein Geschrei, keine Vorwürfe, keine Polizei. Man stellt sich freundlich vor und lernt sich kennen. Später stellt sich heraus, dass einer der beiden darauf geachtet hat, solche Zusammenstösse zu provozieren. Titel dieser kurzen Episode: “Nice to Meet You”. Und genau ein solcher Vorfall, den der Filmemacher Felix Tissi beobachtet hat, war der Grundstein für seinen letzten Film.
Aus einer anderen Perspektive.
Sein Credo: Geschichten aus einem anderen Blickwinkel beschreiben. In acht Kapiteln erzählt er von Menschen und Seltsamkeiten, von Freundschaften, Liebe und dem Tod. In “Perpétuité” geht es um die Entlassung eines Häftlings aus dem Gefängnis, der nicht genau weiss, was er jetzt tun soll, und der sich in eine Blumenverkäuferin verliebt (“Dix Ave pour Lilium”). Ein Senior will eigentlich seine goldene Hochzeit feiern, aber die regelmässigen Schläge seiner Frau bremsen seine Feierlaune. Und dann ist da noch Johann, der ältere Arzt, der es mit seinen Patienten zu gut meint und zur Selbstheilung rät. Auf diese Weise macht er nicht nur den Tod arbeitslos, sondern auch die Totengräber: “Geht doch”, heisst es in der Kapitelüberschrift. “Nicht alles, was schwer ist, muss auch schwer sein”, meint Felix Tissi. Eine Erfahrung, ein Bild wird zu einer Idee, einem Film. Ein Jahr lang hat er an diesen Geschichten gearbeitet. “In meinen Drehbüchern schreibe ich sehr ernsthaft über das Nicht-Ernsthafte und nehme den Begriff ‘Spielfilm’ wörtlich: Ich spiele.”
Fiktionen von der Wiege bis zur Bahre.
Tissi hat das berühmte Sprichwort “Es ist noch nicht Abend” zu “Der Abend aller Tage” verkürzt. Dies ist der letzte Film, bei dem er Regie führt. Warum? “Ich konzentriere mich jetzt auf das Schreiben. Mein Buch ‘Varias Tapas’ wird Ende Juni erscheinen. Es sind alles Tapas, d. h. Appetithäppchen, fiktionale Kurzgeschichten von der Wiege bis zur Bahre”. Felix Tissi ist 68 Jahre alt und gibt das Filmgeschäft auf. Fühlt er sich als Rentner? “Ganz und gar nicht. Ich habe jetzt drei Berufe: Schriftsteller, Filmemacher und Rentner”. Das Thema Alter beschäftigt ihn. “Zwangsläufig habe ich bereits Patina angesetzt. Sein Spielfilm ist von Schalk geprägt, er unterhält trotz des ernsten Themas: “Ja, viele Dinge sind seltsam. Ich mag Witze. Mein Ansatz in diesem Film ist die Frage: Was ist das Gegenteil von dem, was man erwartet? Was würde passieren, wenn? Ich stelle sozusagen die Welt auf den Kopf”.
In diesem Film wird der Tod kalt gestellt, er wird überflüssig. Tissis Erklärung: “Natürlich kann man den Tod in der Realität nicht überlisten. Aber es ist die Stärke der Fiktion, dass man sich so etwas vorstellen kann”.
Die Figuren entwickeln ein Eigenleben.
Felix Tissi hat etwa ein Jahr lang an den Geschichten geschrieben. “Ich schreibe kein Exposé und kein Treatment, sondern von Anfang an ein ausgearbeitetes Drehbuch. Da gab es diesen Autounfall. Danach schreibe ich, ohne nachzudenken, und die Figuren verselbstständigen sich. Sie sind es, die mir dann sagen, was sie tun und sagen wollen. Sie entwickeln ihr eigenes Leben”.
Schlussfolgerung
Tissi serviert uns eine Palette von verrückten Episoden und bösartigen Ereignissen – eben aus einem anderen Blickwinkel – witzig, burlesk, schelmisch. Der Tod erscheint hier nicht als Sensenmann im Stil von Ingmar Bergman, sondern als ein Mann, der arbeitslos wird. Man möge sich vor “Tous les soirs” hüten. Im Gegenteil: Selbst das, was unvermeidlich scheint, findet einen positiven Aspekt. Selten hat man einen Schweizer Film gesehen, der den Ernst der Lage mit mehr Schalk behandelt.