SUR LES CHEMINS NOIRS
Wenn eine ausgedehnte Wanderung zur Therapie und Lebensschulung wird.
Das Roadmovie SUR LES CHEMINS NOIRS ist eine Adaption des gleichnamigen literarischen Erfolgs von Sylvain Tesson (der übrigens selber einen kurzen Auftritt im Film hat). Der Schriftsteller erzählt darin seine wahre Geschichte. Nach einer wilden Partynacht stürzt er betrunken von einem Balkon und verletzt sich schwer. Aus dem Koma erwacht, beschliesst er, gegen den Rat seiner Ärzte und Familie, Frankreich zu Fuss zu durchqueren. 1300 Kilometer vom der Provance bis an die Küste der Normandie.
Schritt für Schritt findet der Autor und Abenteurer Sylvain Tesson nach seinem Unfall zu sich selbst zurück. Regisseur Denis Imbert hat das Buch liebevoll in einen Film umgesetzt mit Jean Dujardin in der Hauptrolle. Einer der heimlichen Stars seiner Arbeit ist auch die Französische Landschaft, von der man nicht genug sehen kann. Im Interview erzählt Imbert, dass es ihm aber wichtig war, das Pittoreske zu vermeiden.
INTERVIEW MIT DENIS IMBERT
WIE IST IHR PROJEKT ENTSTANDEN?
Zwischen der Herstellung von zwei Filmen gibt es immer eine Brachzeit, eine Übergangszeit, die ziemlich unbequem ist. Eine Art totaler Irrweg, der aus Zweifeln und Überlegungen besteht, man muss lernen, ihn zu akzeptieren. In einer dieser Perioden habe ich das Buch SUR LES CHEMINS NOIRS entdeckt. Ich habe danach alle Bücher gelesen, die Sylvain Tesson geschrieben hat. Sein Umfall in Chamonix, der ihn zwang sein Leben neu zu überdenken, hat mich aber besonders berührt. In einem Moment als ich dem Stadtleben überdrüssig war und ich das Bedürfnis empfand, mich selber wieder stärker mit der Natur zu verbinden, habe ich den Entschluss gefasst den Film zu drehen.
SIE SIND EIN GROSSER FAN DER LITERATUR VON SYLVAIN TESSON. WIE NEHMEN SIE IHN ALS SCHRIFTSTELLER WAHR?
Für mich ist er der Reiseschriftsteller schlechthin. Aber er geht nur sehr selten auf das Persönliche ein, und wenn er es tut, ähnelt es für die Lese:innen einer archäologischen Arbeit. Tesson hat die erstaunliche Fähigkeit, uns auf eine Reise mitzunehmen. Aber wir wissen wenig darüber, was seine Protagonist:innen wirklich fühlen. Bei diesem Autor muss man mit dem Pressluft- und dem Vorschlaghammer vorgehen, um den Schiefer oder den Kalkstein zu zertrümmern um die fiktionale DNA der Intimität zu finden, die seinen Erzählungen zu Grunde liegt. Mir wurde klar, wie persönlich und intim seine Erzählungen sind, wenn man das einmal geschafft hat.
WIE SIND SIE DIE ADAPTION VOM BUCH ZUM FILM ANGEGANGEN?
Das Schreiben des Drehbuchs beruhte auf meiner starken Überzeugung, dass es sich bei SUR LES CHEMINS NOIRS nicht primär um die Geschichte einer Resilienz handelt. Sie ist vielmehr ein Zustand, ein Zwischenraum, eine angehaltene Zeit eines Mannes, der ein Land durchquert. SUR LES CHEMINS NOIRS ist ein Buch – und somit gilt das auch für meinen Film – über Wiedergutmachung. Auf keinen Fall wollte ich ein filmische Postkarte drehen. Ich habe mir verboten, einen Reiseführer für Frankreich oder das Fremdenverkehrsamt von Larzac zu drehen. Meine Obsession war, die Natur als Materie darzustellen, hinter der die Figur in der Landschaft verschwindet. Als ich Sylvain fragte, wie er sein Buch zusammenfasst, antwortete er mir, dass es ein Gespräch zwischen einer Landschaft und einem Gesicht sei. Von da an habe ich den Film in diese Richtung aufgebaut. Sobald man zu Fuss unterwegs ist, wenn man allein ist, befindet man sich in einer Introspektion. Es ist eine innere Reise. Sylvain Tesson spricht von vagabundierender Energie.
SIND SIE SELBER GEWANDERT?
Ja klar, es war für mich logisch, dass es unmöglich ist, diese Geschichte zu erzählen und zu verfilmen, ohne den Weg selber gegangen zu sein. Wir wanderten mehrere Tage lang. Es war für mich wesentlich, in Sylvains Fussstapfen zu treten, die Schwierigkeit des Gehens und die Erholung im Biwak zu erfahren. Wenn man man durch die Landschaft wandert, trifft man auf interessante Menschen. Das führte dazu, dass ich das Drehbuch teilweise überarbeitet habe. Zum Beispiel habe ich einen Landwirt getroffen. Die Dialoge der entsprechenden Szene habe ich nach meiner Begegnung mit ihm komplett umgeschrieben und habe ihn schliesslich für seine eigene Rolle engagiert.
IN IHREM FILM SPIELT DIE TONSPUR EINE WICHTIGE ROLLE
Ich hatte den tiefen Wunsch, einen Film zu machen, dem man zuhören kann. Tesson sagt: «Sag mir, auf welchem Boden du lebst, und ich sage dir, wer du bist». Es stimmt, dass es eine Klanggeografie gibt.
IN IHREM FILM BLEIBT VIELES UNAUSGESPROCHENE, DAS KÖNTTE DIE ZUSCHAUER:INNEN FRUSTRIEREN… EIN RISIKO?
Was mir an meinem Film gefällt, ist, gerade dass wir am Ende mit einem Teil des Geheimnisses zurückhalten. Es gibt Dinge, die wir nicht erfahren, die uns der Hauptdarsteller nicht anvertraut, wie etwa Näheres zum Unfall oder seiner Alkoholkrankheit. In der Trennungsszene mit der jungen Frau im Krankenhaus sagt sie ihm, dass es nicht sein Unfall ist, der sie trennt: Er ist es, es sind ihre beiden Leben. Sie geht weg und er versucht nicht, sie zurückzugewinnen. Er entschuldigt sich nicht, bittet nicht um Verzeihung. Er verhält sich nicht politisch korrekt, aber er ist ganz und gar, einfach menschlich. Auch hier lasse ich also viele offen.
SIE SAGTEN, ES SEI IHNEN WICHTIG GEWESEN, DAS PITTORESKE ZU VERMEIDEN
Der Held in meinem Film hat etwas von einem wilden Tier. Wie ein Wolf, der das Leben der Menschen beobachtet, sich aber auf Distanz hält. Ich habe darum bei der Inszenierung seiner Person darauf geachtet, dass er wie ein Tier aus einem Gebüsch kommt, die Strasse überquert und wieder in ein Dickicht verschwindet. Er wandert auf sogenannten schwarzen Wegen. Das sind Strecken, die auf keiner Landkarte eingezeichnet sind. Es sind Pfade, die von wilden Tieren benutzt werden. Frankreich hat viele dieser unglaublichen «Fluchtlinien». Man kann vier Tage lang auf Kammwegen wandern, ohne jemandem zu begegnen.
SIE BEZEICHNEN IHRE REGIEARBEIT SELBER ALS SCHNÖRKELLOS!
Wenn man wenig Mittel hat, was der Fall war, auch wenn der Film vielleicht nicht so wirkt, dann beschränkt man sich auf das Wesentliche. Ich hatte keine komplizierten Kamerafahrten, keine komplizierte Logistik, einfach weil es unmöglich war, allzuviel Ausrüstung mitzunehmen. Dadurch entstanden keine logistischen Zwänge, die von der Erzählung wegführen.
Vielen Dank für das Gespräch