Ivana Kvesić | Interview
- Publiziert am 2. September 2022
Sieben Fragen an Ivana Kvesić
Wir konnten die neue Direktorin des Fantoche nicht in das wohlverdiente Festivalrauschen ihrer ersten Ausgabe entlassen, bevor wir ihr nicht ein paar – um genau zu sein sieben – Fragen gestellt haben. Hier verrät sie uns, wie sie zum Film kam, was an Animation nicht besser, aber anders ist und wieso ihr die Nachwuchsförderung am Herzen liegt. Ihre Antworten machen neugierig auf das Programm, das aber ganz sicher nicht nur für Kinder- und Jugendliche ist!
Sie waren seit 2017 Co-Leiterin der Schweizer Jugendfilmtage in Winterthur. Jetzt wechseln Sie zum Fantoche nach Baden und übernehmen als neue Direktorin das Ruder von Annette Schindler. Was reizt Sie am meisten an der neuen Aufgabe und wie anders/neu ist sie überhaupt für Sie?
Fantoche ist national und international gesehen ein sehr wichtiges und etabliertes Festival, das nicht nur im Kurzfilmbereich tätig ist, sondern auch Langfilme kuratiert und eine Komplexität aufweist, die sehr reizvoll ist. Ich habe hier einen Gestaltungsspielraum und kann meine Visionen umsetzen. Die Schweizer Jugendfilmtage sind ein Zwei-Frauen-Betrieb und Fantoche hat ein ganzes Team, das ganzjährig angestellt ist. Überhaupt ist die Grösse der beiden Festivals nicht vergleichbar. Dank der Unterstützung meines Teams, des Vorstands und der Offenheit der lokalen Institutionen sowie der kantonalen Netzwerktreffen fühlte ich mich hier bisher unglaublich gut aufgehoben. Ich durfte in den letzten Monaten erfahren, was es bedeutet, Teil dieses Festivals zu sein, das einer von neun Leuchttürmen im Kanton Aargau ist. Das hat einen gewissen Druck aufgebaut, den ich aber mit Freude aufnahm und versuchte so sportlich wie möglich damit umzugehen. Gleichzeitig gibt mir die Vorfreude und die Verbundenheit der Menschen in Baden mit dem Fantoche ein gutes Gefühl. Ich hoffe, dass ich alle Erwartungen erfüllen kann.
Was hat Sie persönlich zum Medium Film gebracht?
Mein Vater hatte ein Faible für Western und tolle Schwarz-Weiss-Filme und meine Mutter eher für Sissi oder Elvis-Filme. Da meine Schwester viel älter ist als ich, durfte ich teilweise mit ihr Filme schauen – das waren dann eher Genre Filme. So haben sich mir viele Welten eröffnet, auf die ich mich seelisch einlassen konnte. Diese Liebe liess mich nie los: Ich war ständig in der Bibliothek und habe mir VHS und später DVDs ausgeliehen. Irgendwann entstand ein grosses Faible fürs Independent Cinema. Für eine Weile habe ich Open-Air-Kino auf der Dachterrasse der WG organisiert, später mit Freund:innen ein Kino geführt. Vor elf Jahren kam ich dann auch zu den Internationalen Kurzfilmtagen Winterthur und bin seither immer noch Teammitglied und mittlerweile auch Präsidentin im Vorstand eines meiner Lieblingskinos in Zürich: dem Kino Xenix.
Welcher Animations- oder Trickfilm hat Sie durch Ihre Kindheit begleitet?
Als Kind haben mich natürlich Disneys Werke begleitet. Ein Film, denn ich als Kind gefürchtet und gleichzeitig sehr geliebt habe, war «Das letzte Einhorn» von Jules Bass und Arthur Rankin Jr. aus dem Jahr 1982. Den schaue ich bis heute gerne. Aber grundsätzlich war ich ein Fernsehkind und habe viele Serien geschaut: Von «Calimero», «Adventures from Moominvalley», «Barnapapa», «The Jetsons» zu «Hey Arnold!», «Daria» oder «Pinky and the Brain». Damals gab es auch ein paar gute, aber gleichzeitig ganz schlimme hybride Langfilme, die mir teils nächtelang Albträume bereiteten und die ich auch wieder verdrängt habe. Und es war die Zeit, als MTV gross wurde und ich mir mit einer Freundin viele Videos angeschaut habe. Auch da spielte Animation immer wieder eine Rolle, z.B. bei Björk oder Daft Punk. Grossartig!
Das Fantoche hat sich von Anfang an dafür eingesetzt, den Animationsfilm auch für ein erwachsenes Publikum zu etablieren. Was kann eine Animation besser als ein nicht animierter Film?
Das Klischee, dass Animation nur was für Kinder ist, ist leider immer noch verbreitet – nicht nur in der Wahrnehmung des Publikums, sondern auch generell in der Filmbranche. Deshalb ist die Arbeit meiner Vorgänger:innen so wertvoll und aus diesem Grund ist es mir auch wichtig, dass Menschen aus der Nicht-Animationsbranche zu uns ans Festival kommen, damit sie sehen, wie grossartig, wie vielseitig und beispielsweise auch wie böse Animation ist. Dieses Jahr sind Selektionsmitglieder von erstklassigen Festivals wie der Berlinale, aus Cannes, Locarno etc. am Industry Day eingeladen, um darüber zu reden, welchen Stellenwert Animation in der Festivalindustrie hat und wie wir einen Change in der Wahrnehmung generieren können.
Und nun zur effektiven Frage: Ich möchte das Wort «besser» nicht verwenden, sondern eher beantworten, was Animation «anders» macht: Für mich kann Animation eine Magie auslösen, mich zum Staunen bringen und Welten näher bringen, die ich in Gedanken mit nach Hause nehmen kann und zwar anders als nicht animierte Filme. Dafür benötigt sie keine Schauspieler:innen, sondern sie erschaffen ein Bild oder nehmen einen Gegenstand und versetzen diese in Bewegung. So kann ein Bleistift, der animiert wird, bei uns plötzlich sehr viele Emotionen auslösen und das ist der Zauber. Des Weiteren könnte ein Animationskurzfilm auch komplett von einer Person erstellt werden – das ist zwar anstrengend, aber machbar. Animation kann schwere Themen wiedergeben, dass es zumutbar ist und wir dies vielleicht besser abstrahieren bzw. verdauen können. Zusätzlich, wenn man teilweise sieht, auf wie viele Details der:die Animator:in in ihrem Werk gesetzt hat. Alles ist genauso gewollt, genauso geplant. All diese Faktoren – und ich habe nun einen kleinen Teil aufgezählt – sind für mich sehr faszinierend.
Der diesjährige Fokus auf den Balkan hat einerseits mit ihrer eigenen Biografie zu tun, doch für Kenner:innen war die Region noch nie ein unbeschriebenes Blatt. Ist es das erste Mal, dass sich das Fantoche mit der Geschichte der Animation im ehemaligen Jugoslawien beschäftigt?
Es gab schon 2010 einen Fokus zu Kroatien, – damals unter der Sektion «Terra Incognita» und mit drei Programmen: Die ersten Jahre, die «Goldene Zeit» von den 50er bis 60er-Jahren, die 70er-Jahre wurden mehrheitlich im Programm «Höhenflüge» abgedeckt und die 90er sowie 00er-Jahre in «New Generation». Natürlich gibt es hier ein paar Überschneidungen mit unseren historischen Programmen. Ich habe für das Programm mit vier Kurator:innen mit unterschiedlichem Background gearbeitet, um die Filme aus dem Balkan aus vielfältigen Blickwinkeln zu zeigen. Jugoslawien existierte bis 1991, danach brach der Krieg aus, der bis Ende der 1990er-Jahre andauerte und offiziell 2001 als beendet erklärt wurde. Die danach entstandenen Nationen sind relativ jung, Kosovo etwa ist immer noch nicht als souveräner Staat von allen Ländern des Balkans anerkannt. Deshalb war es mir wichtig, dass wir einerseits mit einem historischen Blick in das Filmschaffen des damaligen Jugoslawiens eintauchen, andererseits soll das Publikum auch die neueren Stimmen hören – seien diese von weiblichen Animationsschaffenden oder aus Ländern, die relativ neu in der Produktion von Animationsfilmen mitwirken wie Kosovo, Bosnien und Herzegowina. Des Weiteren gibt es ein Programm, das eher auf das experimentelle Filmschaffen eingeht, dabei Filme von vor und nach dem Krieg vereint und damit eine Brücke in die Vergangenheit schlägt.
Stichwort Nachwuchsförderung: Festivals sind insbesondere für eine junge Generation von Filmschaffenden wichtig. Wie bringen das Fantoche die Branche zusammen?
Festivals bieten die besten Möglichkeiten, sich zu vernetzen. Student:innen oder jungen aufstrebenden Animator:innen möchte ich vor allem den Industry Day, das Making-Of oder das Meet the Artist ans Herz legen. Diese Events sind für sie gedacht und geben einmalige Einblicke in die Branche. Ich freue mich sehr, dass dieses Jahr alle Filmschaffenden aus dem Schweizer Wettbewerb am Festival anwesend sein werden. Aber die Nachwuchsförderung startet eigentlich schon vor dem Studium: Bei den Schweizer Jugendfilmtagen haben wir intensive Jugendförderung betrieben und uns war es dabei immer wichtig, zusätzlich auch Mädchen und junge Frauen spezifisch zu fördern. Das habe ich mitgenommen und auch am Fantoche spezifische Gefässe geschaffen. Bei der Talent Industry arbeiten wir mit den Schweizer Jugendfilmtagen zusammen. Die Idee ist, dass wir animierte Kurzfilme von Jugendlichen zeigen, im Anschluss folgt ein Netzwerk-Apero. So erhalten die jungen Animator:innen Inputs von erfahreneren Kolleg:innen oder finden vielleicht Institutionen, die ihre Projekte finanziell unterstützen. Hierfür konnten wir auch namhafte Partner wie etwa Sparks des Migros Kulturprozent gewinnen. Wir hoffen, dass wir diesen Bereich weiter ausbauen können. Ich kann aber auch noch weitere Programmpunkte nennen. In «Panorama Teens» fokussieren wir auf Themen, die Teenager:innen beschäftigen: Umwelt, Identität, Gender oder einfach die Magie der Animation. Des Weiteren haben wir einen Workshop mit Lehrpersonen aus unterschiedlichen Schulstufen organisiert, um zu verstehen, welche digitale Tools wir als Workshopunterstützung benötigen können. Diese Tools möchten wir gerne im 2023/24 umsetzen.
Welchen Film sollte keine:r in der kommenden 20. Ausgabe des Fantoche verpassen?
ALLE! Fakt ist, die wenigsten Animationsfilme für Erwachsene werden im Kino gezeigt. Und Kurzfilme sind praktisch nur an Festivals zu sehen. Deshalb sollte alle die Chance nutzen, möglichst viele Filme bei uns anzuschauen. Einen allgemeinen Tipp habe ich nicht, da ich finde, dass wir alle unterschiedliche Geschmäcker haben, aber ich kann garantieren, dass für alle etwas dabei ist – von Einhorn-Splatter zu animierten Dokus, Märchen bis Anime, von hochpolitisch zu feel-good. Wir erfüllen alle Wünsche.